Saskia Militz, Frank Sailer: § 2 EEG wirkt schon

Portraitfotos: Frank Sailer und Saskia Militz von der Stiftung UmweltenergierechtFotos: Stiftung Umweltenergierecht, Manuel-Reger
Die Juristin und der Jurist von der Stiftung Umweltenergierecht haben untersucht, ob und wie die vor einem Jahr in § 2 EEG eingeführte Bestimmung, dass erneuerbare Energien im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und der „öffentlichen Si­cher­heit“ dienen, in der Verwaltungs- und Rechtspraxis wirken. Auf Basis einer Fallsammlung sehen sie deutliche Indizien dafür. Im Solarthemen-Interview sprechen sie Wirksamkeit der neuen Regel.

Frank Sailer: Auf jeden Fall. Allerdings gab es im Vorfeld bei den Erneuerbare-Energien-Verbänden teils überzogene Erwartungen. Und auf der anderen Seite gab es bei Umweltverbänden teils überzogene Befürchtungen, was mit diesem überragenden öffentlichen Interesse verbunden sein könnte. Einige haben gedacht, jetzt seien alle Hemmnisse im Genehmigungsverfahren beseitigt und sie bekämen die Genehmigung für ihre Wind- und Solarprojekte automatisch. Und auf der anderen Seite bei den Umweltverbänden hieß es teilweise, dies sei die Lizenz zum Töten geschützter Tierarten. Naturschutzgebiete seien kein Hindernis mehr und Ähnliches. Natürlich sind beide Sichtweisen unrichtig. Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung in § 2 EEG lediglich etwas klargestellt. Denn dass die hinter den erneuerbaren Energien stehenden Belange – das sind der Klimaschutz und die Versorgungssicherheit – sehr gewichtige, hochwertige Belange sind, war auch vorher schon klar.

Sailer: Vorher waren die Behörden recht frei in der Gewichtung. Wenn sie es richtig gemacht haben, dann haben sie den erneuerbaren Energien ein hohes Gewicht beigemessen. Aber jetzt ist es verbindlich. Wo das Fachrecht Abwägungen zwischen verschiedenen Belangen verlangt und wo vorher Spielräume waren, hat der Gesetzgeber diese nicht beseitigt, aber er hat sie vorgeprägt. Er sagt: „Wenn ihr jetzt eine solche Abwägung machen müsst, dann dürft ihr die Erneuerbaren nicht mehr irgendwie gewichten, sondern ihr müsst sie, so heißt es in der Gesetzesbegründung, mit einem besonders hohen Gewicht einstellen.“

Sailer: Der Gesetzgeber hat hier nur das Gewicht der erneuerbaren Energien im Blick und lässt das Gewicht der anderen Belange zunächst mal völlig unberührt. Somit können diese im Einzelfall durchaus so schwer wiegen, dass sie das überragende öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien ausstechen. Aber im Regelfall sollen sich nach dem Willen des Gesetzgebers die erneuerbaren Energien durchsetzen. Stellen Sie sich eine Waage vor: Die Waagschale der Erneuerbaren ist vorab schon schwerer, aber trotzdem können die Gewichte in der anderen Waagschale insgesamt überwiegen und die Waage in die andere Richtung neigen lassen.

Sailer: Mein Paradebeispiel ist Schloss Neuschwanstein. Ein „normales“ Denkmal hat in der Regel nicht das Gewicht, um gegen die erneuerbaren Energien anzukommen. Anders ist das bei einem Denkmal von so überragender Bedeutung wie Neuschwanstein, das auf der Vorschlagliste als Weltkulturerbe steht. Hier dürfte es ein Windpark eher schwer haben.

Sailer: Dazu muss man verstehen, dass es zwei Ebenen gibt. Es gibt die Verbotsebene und die Ausnahmeebene. Auf der ersten Ebene überprüfe ich, ob eine Verletzung zum Beispiel des Denkmal- oder Arten- oder Gewässerschutzrechtes vorliegt. An diesen Verboten ändert § 2 EEG gar nichts. Sie werden nicht abgeschwächt und müssen weiterhin geprüft werden. Aber auf der zweiten Ebene sieht das Recht gewisse Ausnahmen vor.
Wenn ich zum Beispiel festgestellt habe, dass eine Windkraftanlage den denkmalschutzrechtlichen Umgebungsschutz verletzt, dann gehe ich auf die Ausnahmeebene herunter. Dort gibt es verschiedene Ausnahmevoraussetzungen. Eine davon ist, dass ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ vorliegen muss. An dieser Stelle – und nur hier – hilft mir der § 2 EEG, indem er hinter dieses Tatbestandsmerkmal in der Regel einen Haken macht. Aber die übrigen Ausnahmevoraussetzungen müssen ebenfalls erfüllt sein.
Es gibt aber auch Recht, das keine Ausnahme kennt. Ein Beispiel ist die Genehmigung nach § 18 a Luftverkehrsgesetz. Da geht es um bestimmte Radaranlagen, die der Flugsicherung dienen. Hier gibt es keinen Abwägungsspielraum. Wenn das Radar gestört wird, gilt ein Bauverbot und es gibt keine Ausnahme. Somit wirkt der § 2 EEG beim § 18 a Luftverkehrsgesetz nicht.

Sailer: Meine Kollegin hat dazu aufwendig nach Fällen recherchiert.

Saskia Militz: Ich habe festgestellt, dass die Gerichte zunächst etwas zurückhaltend waren, den § 2 EEG und die Wertung, die dahintersteht, wirklich anzuwenden. Aber das hat sich ziemlich schnell geändert. Wir haben vom Artenschutzrecht über das Denkmalschutzrecht und das Immissionsschutzrecht bis zum Zivilrecht Urteile gefunden, in denen die Gerichte den § 2 EEG so angewendet haben, wie es vom Gesetzgeber vorgesehen ist. Man kann daraus zwei Sachen ablesen: Einerseits ist der Paragraf bei den Gerichten schon sehr gut angekommen. Auf der anderen Seite bedeuten diese Urteile, die zugunsten der erneuerbaren Energien gesprochen wurden, aber auch, dass die Verwaltungsebene den Paragrafen in diesen Fällen noch nicht so angewendet hat, wie der Gesetzgeber ihn vorgesehen hat.

Sailer: Den Rechtsbegriff der „öffentlichen Sicherheit“ braucht man ganz selten. Er ist eine Unterkategorie des „öffentlichen Interesses“. Dieses beschreibt alle möglichen Allgemeinwohlbelange. Einige Ausnahmeentscheidungen sind ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erlaubt. Dann reicht es nicht, wenn irgendein öffentliches Interesse vorliegt, sondern die Ausnahme muss speziell der öffentlichen Sicherheit dienen.

Sailer: Die artenschutzrechtliche Ausnahme kann aufgrund der öffentlichen Sicherheit genehmigt werden. Sie hatte der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 2 EEG unter anderem vor Augen.

Sailer: Die größte Verzögerung entsteht häufig durch Rechtsunsicherheit bei den Behörden. Für die Abwägungsentscheidungen hat der Gesetzgeber jetzt mehr Klarheit geschaffen. Das wird beschleunigend wirken. Der maßgebliche Effekt von § 2 ist, dass er die Begründungs- und Darlegungslasten umdreht. Wenn ein Projektierer bisher eine Ausnahmegenehmigung haben wollte, dann musste er das begründen. Das dreht der Gesetzgeber jetzt um, indem er sagt, die Erneuerbaren sind im Normalfall so gewichtig, dass sie andere Belange mehr als aufwiegen. Wenn allerdings andere Belange ausnahmsweise mal die Waagschale nach unten drücken wollen, dann ist das zu begründen.

Sailer: Die Erwähnung in der RED III bezieht sich nur auf EU-Recht. Sie adressiert die Abwägungsentscheidungen im europäischen Artenschutzrecht, im europäischen Habitatschutzrecht und im europäischen Gewässerschutzrecht. Die deutsche Regelung geht darüber hinaus. Europa hat zum Beispiel beim nationalen Denkmalschutz nichts mitzureden.

Militz: Bei meiner Recherche bin ich immer wieder auf Anweisungen von Landesbehörden gestoßen, die von unteren Denkmalschutzbehörden mehr Offenheit für Solaranlagen fordern. Jedes Land hat dazu eigene Regelungen, aber mehrere Länder haben ihre Vorgaben bereits angepasst.

Militz: Man könnte die Behörde zumindest mal auf § 2 EEG hinweisen – und unsere Studie mitschicken.

Militz: § 2 EEG wird nicht sämtliche Hemmnisse überwinden, die es bezüglich des Ausbaus der erneuerbaren Energien gibt. Er wird auch allein nicht den Turbo für den Ausbau zünden. Es wird noch einige Ergänzungen geben müssen. Beispielsweise könnten Prüf­maß­stäbe weiter konkretisiert werden. Nichtsdestotrotz ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der Wirkung erzeugt.

17.11.2023 | Interview: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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