Windstrom direkt für die Industrie

Im Vordergrund eine Windkraftanlage, im Hintergrund ein Industriegebiet - eine Option für die direkte Lieferung von Windstrom an die IndustrieFoto: Avacon
Winenergieanlagen in Industriegebieten wie hier in Salzgitter sind bislang in Deutschland Ausnahmeerscheinungen.
Der Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) schlägt einen Industrie-Windstrom-Pakt vor. Die Politik soll mit großen Energieverbrauchern aus Industrie und Gewerbe sowie Vertre­tern von Kommunen und der Regenerativ-Bran­che einen runden Tisch bilden, um Hemmnisse für eine Direktlieferung von Strom aus neuen Windparks an Industriebetriebe zu beseitigen.

Ein Kabel vom Windpark direkt ins Industriegebiet – keine Durchleitung durch das öffentliche Netz, keine Finanzierung indirekt über Netzgebühren aller Stromverbraucher, sondern direkt durch den Windparkbetreiber und/oder seinen industriellen Stromkunden. Das ist die Vision, um die es Milan Nitzschke, Vorstandsmitglied des LEE NRW und Geschäftsführer der SL Naturenergie aus Gladbeck im nördlichen Ruhrgebiet, geht.

So einfach das klingt, so schwierig gestalte sich die Umsetzung der Idee in der Praxis, weiß Nitzschke aus eigener Erfahrung. Auf immerhin mehr als 100 Megawatt an aktuellen Windparkprojekten in Verbindung zur Industrie kann der Projektierer SL Naturenergie aktuell verweisen. Das wirft ein Schlag­licht auf das Potenzial eines Marktsegments der Energiewende, dessen tatsächlich realisierte Pionierprojekte sich bislang in Deutschland an ein bis zwei Händen abzählen lassen.

Direktlieferung von Windstrom an die Industrie heißt mehr als PPA

Dabei gehe es ihm nicht um den typischen Stromliefervertrag, bekannt als Power Purchase Agreement (PPA), eines typischen Windparks in Norddeutschland mit einem Industriebetrieb in NRW oder Baden-Württemberg, betont Nitzschke im Gespräch mit den Solarthemen. Von diesem bereits häufiger praktizierten Geschäftsmodell hält er wenig, nennt es „Rosinenpickerei“, denn: „Das bringt energiewirtschaftlich und gesellschaftlich keinen Zusatznutzen und es belastet das Netz auf Kosten der Allgemeinheit.“ Eine echte Direktbelieferung hingegen per eigens verlegtem Kabel aus unmittelbarer Nachbarschaft oder dem Umland an die industriellen Verbraucher, die habe Vorteile für alle.

Die Industrie sichert sich langfristigen Zugriff auf Windstrom, den sie zunehmend für ihre CO2-Bilanz benötige. Sie spart dabei Netzgebühren. Der Windparkbetreiber muss keine Transaktionskosten für die Direktvermarktung kalkulieren. Für die Einspeisung von eventuellen Überschüssen, beispielsweise an Wochenenden, kann er oftmals die vorhandene Infrastruktur des Industriegebietes nutzen. Verstärkungen öffentlicher Netze können somit entfallen. Und bei alledem verändern solche Windenergieanlagen das Landschaftsbild nicht in bislang land- oder forstwirtschaftlich geprägten Regionen, sondern in industriell vorbelasteten Gebieten.

Industrie-Windstrom-Pakt NRW

Kein Wunder also, dass der LEE NRW, der das Schlagwort „Industrie-Windstrom-Pakt NRW“ in der vergangenen Woche auf einer Pressekonferenz präsentierte, mit dem Thema offene Türen einrennt. Nitzschke: „Das Verrückte ist: Eigentlich finden das alle gut, aber in der Praxis stoßen wir auf allerlei Hürden.“ Die liegen vor allem im Energierecht und im Baurecht und somit auf Bundesebene. Deshalb erinnert der LEE die Ampelkoalition im Bund an ihr Versprechen, eine „flächenspezifische Außenbereichsprivilegierung für bestimmte besonders geeignete Flächen“ einzuführen, auf denen „Windenergieanlagen für die direkte Belieferung der benachbarten Unternehmen errichtet werden können“. So stand es in einer Vereinbarung des Koalitionsausschusses vom März 2023. Doch passiert ist bislang wenig in dieser Richtig.

Direktleitung bis 5.000 Meter

Immerhin ermöglicht das Energiewirtschaftsrecht inzwischen nach § 3 Abs. 24a und 24b Direktleitungen von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu großen Energieverbrauchern bis zu einer Länge von 5.000 Metern als Teil einer sogenannten Kundenanlage zu behandeln. Das sei ein guter Anfang, sagt Nitzschke, der die Option allerdings auf zehn Kilometer ausgeweitet sehen möchte. „Denn eigentlich wäre es sogar egal, wie lang die Leitung ist, solange sie privat finanziert wird.“ Nitzschke vermutet hinter den bisher restriktiven Regelungen einen nicht mehr zeitgemäßen Generalverdacht des Ge­setz­ge­bers gegen Wirtschaftsakteure, dass diese sich mit einer solchen individuellen Strompreisoptimierung teilweise aus der gemeinschaftlichen Finanzierung des Netzes he­­rausziehen und somit „entsolidarisieren“ könnten.

Für die Beseitigung von bau- und planungrechtlichen Hindernissen sieht der LEE NRW zwar ebenfalls größtenteils die Verantwortung beim Bund. Doch könnten hier auch Länder und Kommunen ihren Teil beitragen. So hätten Städte und Gemeinden die Möglichkeit, Ausnahmen von bestehenden Höhenbegrenzungen in Gewerbegebieten speziell für Windenergieanlagen zu beschließen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat bereits einen ersten Schritt gemacht, indem sie in der neuen Landesbauordnung die für Windräder in Industrie- und Gewerbegebieten erforderlichen Baulasten auf ein Fünftel von deren Gesamthöhe verringert hat. Nun müssten weitere Schritte folgen, fordert der LEE. Es sei beispielsweise die Landesplanung so anzupassen, dass Windenergie und auch Photovoltaik gezielt in die Industrie- und Gewerbegebiete gebracht würden.

NRW als Vorreiter

Der Verband sieht denn auch die Landesregierung wegen der besonderen industriepolitischen Interessen des schwarz-grün regierten Nordrhein-Westfalen als geeigneten Moderator, um die verschiedenen Interessengruppen für einen „Industrie-Windstrom-Pakt“ an einen Tisch zu bringen und damit auch bundesweit Gesetzesinitiativen anzustoßen.

Autor: Guido Bröer © Solarthemen Media GmbH

Schließen