Der Wind dreht sich: Bürgerenergie in Deutschland
6.300 Megawatt: das bedeutet einen Rekord. So viel neue Windenergieleistung ist in Deutschland in den ersten elf Monaten des Jahres 2023 von den für den Immissionsschutz zuständigen Behörden genehmigt worden. Die Zahl entstammt dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur; ermittelt hat sie Jürgen Quentin von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind). Die Genehmigungszahlen sind neben den Ausschreibungsergebnissen der Bundesnetzagentur ein wichtiger Indikator für das künftige Installationsgeschehen im Windsektor. Auf Basis der vorliegenden Daten rechnet auch der Bundesverband Windenergie nach Darstellung seines Geschäftsführers Wolfram Axthelm für 2024 mit einem außergewöhnlich starken Ausbau. Einen Beitrag soll auch die Bürgerenergie leisten.
Es könnte das Ende eines langen Tals der Tränen sein, durch das die Windbranche hierzulande fünf Jahre lang gegangen ist. Der Tiefpunkt war 2019 erreicht, als nur gut 1.000 Megawatt an Land neu installiert wurden.
Ein Problem waren dabei unter anderem immer längere Genehmigungsverfahren sowie Verzögerungen durch langwierige Prozesse vor Verwaltungsgerichten. Bundesregierung, etliche Länder und auch der europäische Gesetzgeber versuchen daher, den aus Klimaschutzgründen dringend benötigten Windprojekten auf kommunaler Ebene den Weg durch die Institutionen geschmeidiger zu machen.
Überragendes Interesse
Einer starker Hebel ist der neue § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG): Seit gut einem Jahr attestiert das Gesetz ein „überragendes öffentliches Interesse“ am Bau und Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Genehmigungsbehörden haben sich bei der Abwägung öffentlicher Schutzgüter an dem vorrangigen Belang zu orientieren.
Und sie können sich auch nicht mehr so viel Zeit lassen wie früher. Dafür sorgt eine Vorgabe aus Brüssel. Seit dem Inkrafttreten einer EU-Notfallverordnung am 30.12.2022 haben die zuständigen Behörden nur noch einen Monat Zeit, um einen Antrag auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Erneuerbare-Energien-Anlage auf Vollständigkeit zu überprüfen. Bei einem Repowering-Projekt, also dem Ersatz einer alten durch eine neue Windenergieanlage, haben die Behörden EU-weit nur noch höchstens sechs Monate Zeit, um über die Genehmigung zu entscheiden. Die EU-Verordnung wurde kurz vor Weihnachten um ein weiteres Jahr bis Mitte 2025 verlängert.
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Die EU-Kommission will damit die Zeit überbrücken, bis alle Mitgliedsländer die novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) in nationales Recht übertra- gen haben. Denn die RED III macht die Verfahrensbeschleunigung zum dauerhaften Standard. Und das bedeutet tatsächlich eine enorme Beschleunigung, betrug doch die Genehmigungsdauer nach Quentins Erhebungen selbst in Repowering-Fällen durchschnittlich 18 Monate. Insofern verwundert es nicht, dass laut FA Wind 26 Prozent der in den elf Monaten bis Ende November 2023 neu genehmigten Windleistung auf Repowering-Projekte entfallen.
Im Bundesimmissionsschutzgesetz ermöglicht seit gut einem Jahr der neue § 16 b, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei Repowering-Genehmigungsverfahren in Sachen Artenschutz und Lärm lediglich noch mögliche Verschlechterungen gegenüber dem vorherigen Zustand mit den abzubauenden Altwindrädern geprüft werden müssen. Die Fachwelt spricht von einer sogenannten Delta-Prüfung.
Bundesländer steuern um mit Bürgerenergie
Und auch in vielen Regionen gibt es neuen Rückenwind für den Ausbau der dringend benötigten Rotoren. Manche Bundesländer setzen dabei zunehmend auf die Kommunen und Bürgerenergie. So hat der Landtag in Düsseldorf kurz vor Weihnachten sein „Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an der Windenergienutzung in Nordrhein Westfalen“, kurz Bürgerenergiegesetz NRW beschlossen.
Nach langen Diskussionen ist dabei ein Gesetz entstanden, das Kommunen und Windenergieprojektierern einerseits viele Freiheiten für passende Beteiligungsformate und damit Bürgerenergie bietet. Andererseits macht der Gesetzgeber aber auch klar, dass es künftig für neue Windkraftanlagen keine Schlupflöcher mehr geben soll, durch die sich unwillige Betreiber und Projektierer vor der Beteiligung drücken können. Denn viele nutzen noch nicht einmal die standardisierte Möglichkeit zur freiwilligen Kommunalbeteiligung, die ihnen § 6 des EEG bereits bietet. 0,2 Cent pro Kilowattstunde können Windmüller nach dieser bundesweiten Regelung an die Kommunen in 2.500 Meter Umkreis um ihre Anlagen zahlen. Wenn es sich um EEG-geförderte Anlagen handelt, bekommen sie die zusätzliche Ausgabe über die EEG-Umlage erstattet.
Beteiligung der Gemeinden für mehr Bürgerenergie
Darüber hinausgehen müssen Windprojektierer künftig nach dem Bürgerenergiegesetz NRW. Sie sollen mit den Gemeinden ein Angebot für eine Beteiligung aushandeln. Möglich ist eine direkte Beteiligung an der Betreibergesellschaft. Ebenso können eine oder mehrere Anlagen eines Windparks den berechtigten Kommunen, ihren Gemeindewerken oder örtlichen Bürgerenergiegenossenschaften als Teil eines Bürgerenergie-Konzeptes zum Kauf angeboten werden. Eine – vermutlich bald häufig genutzte – Option sind auch finanzielle Beteiligungen über Nachrangdarlehen oder andere Anlageprodukte sowie vergünstigte Stromtarife für Bürger:innen und Unternehmen in den berechtigten Kommunen. Auch die Gründung einer lokalen Stiftung, der Teile des Windgeldes zufließen, zählt bereits zu den bewährten Optionen.
Die erzielten Vereinbarungen sind auf einer Transparenzplattform des Landes zu veröffentlichen, sodass sich auch andere Kommunen und Projektierer an den Benchmarks orientieren können.
0,2 Cent je Kilowattstunde als Minimum
Für den ausdrücklichen Ausnahmefall, dass innerhalb eines Jahres nach der Genehmigung keine Vereinbarung zwischen Kommune und Windfirma zustandekommt, sieht das Gesetz eine standardisierte Ersatzbeteiligung vor. Sie orientiert sich einerseits an § 6 EEG mit einer dann allerdings obligatorischen Zahlung von 0,2 Cent pro Kilowattstunde an die Gemeinden. Zusätzlich ist dann aber Einwohnern der Anrainerkommunen eine Beteiligung in Form eines Nachrangdarlehens zu gesetzlich geregelten Konditionen anzubieten.
Wichtig ist bei alledem, dass kommunale Einnahmen aus den gesetzlichen Windenergiebeteiligungen nicht mit dem Finanzausgleich auf Bundes- und Landesebene verrechnet werden. Wofür die Kommunen die Einnahmen verwenden dürfen, das stellt das Bürgerenergiegesetz ebenfalls klar: „Die Gemeinden haben die Mittel (…) zur Steigerung der Akzeptanz für die Windenergieanlagen bei ihren Einwohnerinnen und Einwohnern einzusetzen.“ Das Gesetz nennt dafür einen breiten Reigen von Möglichkeiten.
Das Bürgerenergiegesetz erfasst übrigens ironischerweise nicht „echte“ Bürgerenergie-Projekte, die von lokalen Energiegenossenschaften oder Kommanditgesellschaften betrieben werden. Sie stellen gewissermaßen den Primestandard der Bürgerbeteiligung an Energieprojekten dar, während das neue Gesetz lediglich einen Mindeststandard etablieren will.
Autor: Guido Bröer © Solarthemen Media GmbH – Artikel aus Energiekommune, Ausgabe 1/2024
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