Energiegenossenschaft speichert Solarwärme
„Wir wollen hier eine Blaupause schaffen für andere Kommunen, die in eine ähnliche Richtung denken“, sagt Helgo Schütze, einer der drei Vorstände der Bürger-Energiegenossenschaft Solarwärme Bracht eG. Dass es ganze Dörfer schaffen können, mithilfe erneuerbarer Energien wie Holz oder Biogas und eines gemeinschaftlich betriebenen Wärmenetzes die Energieversorgung in die eigenen Hände zu nehmen, das haben schon andere gezeigt. Dass aber in einem solchen Netz der weit überwiegende Anteil der Wärme, nämlich über das ganze Jahr gerechnet 70 Prozent, allein von der Sonne kommt, das ist in dieser Dimension ein bislang einmaliges Projekt. Zwar gibt es in Deutschland schon einige Hundert Sonnenhäuser, die die Energie für Heizung und Warmwasser zu mehr als der Hälfte mit Solarthermieanlagen gewinnen. Dieses Ziel gleich für ein ganzes Dorf anzustreben, ist allerdings eine andere Sache.
Schon 2013 kamen in Bracht, das zur Stadt Rauschenberg gehört, die ersten Ideen für das Wärmenetz auf. ElfJahre später können die Bürgerinnen und Bürger nun täglich beobachten, wie vier große Bagger, ein Bulldozer und eine Rüttelwalze die kühne Vision in die Tat umsetzen. In der ersten Bauphase heben sie die Baugrube für einen Erdbecken-Wärmespeicher aus. Der soll demnächst 26.600 Kubikmeter Fernwärmewasser fassen. 14 Meter tief haben sich die Bagger in den roten Buntsandstein gebissen. Eine quadratische Baugrube mit Außenmaßen von 70 mal 70 Metern ist entstanden. Das Material, das die Bagger unten herausholen, wird nicht abtransportiert. Vielmehr formt ein Bulldozer daraus einen quadratischen Ringwall, der durch Walzen verdichtet wird.
Erfahrungen aus Dänemark
Etwa ein halbes Dutzend Erdbecken-Wärmespeicher ähnlicher Bauart ist bereits in Dänemark im Einsatz. SIe konservieren Sonnenenergie, die mittels Solarthermieanlagen im Sommer geerntet wird, bis in den Winter. Die dänischen Pionierprojekte hatten einige Kinderkrankheiten, die zumeist mit dem Auftreten von Regen-, Diffusions-, oder Grundwasser an unerwünschten Stellen zu tun hatten. Diese hat man größtenteils nachträglich behoben. Aus solchen Erfahrungen haben die Ingenieur:innen für den Brachter Speicher gelernt. So wird beispielsweise der 40 Zentimeter starke, isolierende Schwimmdeckel des Wärmereservoirs aus anderen Materialien bestehen als die ersten dänischen Speicherbecken.
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Trotz aller Vorsicht und trotz einiger Erfahrung aus einer ganzen Reihe von Vorgängerprojekten sind sich die Energiegenossinnen und -genossen von Bracht bewusst, dass man 70 Prozent Solardeckung für ein ganzes Dorf nicht erreichen kann, wenn man nicht bereit ist, beim Thema Wärmespeicher technisches Neuland zu betreten. Thomas Schmidt vom Steinbeis Forschungsinstitut Solites, einer der Top-Experten auf dem Gebiet der saisonalen Wärmespeicherung, drückt das so aus: „Es ist hoffentlich allen Beteiligten klar, dass das, was sie bauen, noch kein Stand der Technik ist.“ Zugleich zeigt er sich aber überzeugt, dass das 16,5 Millionen Euro teure solare Wärmenetz der Bürgerenergiegenossenschaft in Bracht gute Erfolgschancen hat. Es zeigt einen vielversprechenden Weg auf, um über hohe solare Deckungsraten eine fossilfreie und preisstabile Wärmeversorgung zu erreichen.
Neben dem Speicher bedarf es dafür vor allem eines rund 13.000 Quadratmeter großen Solarkollektorfeldes, das noch in diesem Jahr gleich nebenan gebaut werden soll. Innovativ ist auch der Einsatz von zwei Großwärmepumpen. Sie nutzen nicht wie andernorts die Umgebungsluft oder ein Erdsondenfeld als Wärmequelle, sondern verwenden und veredeln die Energie im Wärmespeicher.
Wärmepumpen als Effizienzbooster
Als Effizienzbooster sollen die Wärmepumpen den Speicher und das Kollektorfeld zu Höchstleistungen befähigen. Wenn die Temperatur im Speicher vor allem im Winterhalbjahr zu gering ist, um die 85 Grad Vorlauftemperatur zu liefern, die das Wärmenetz benötigt, dann kann die Wärmepumpe das Temperaturnivau anheben. Die Wärmepumpe entnimmt Energie vorzugsweise aus dem ohnehin kühleren unteren Bereich des 14 Meter tiefen Speicherbeckens. So stellt sie sicher, dass das Solarkollektorfeld über den Rücklauf des Kollektorkreises mit kälterem Wasser versorgt werden kann. Dadurch steigt der Wirkungsgrad der Kollektoren und ihre Energieernte.
Durch dieses ausgeklügelte System, das am Lehrstuhl von Professor Klaus Vajen an der Uni Kassel ausgeheckt und berechnet worden ist, soll die Energiemenge, die ein Holzkessel im Winter ergänzen muss, auf weniger als ein Viertel des Gesamtbedarfs beschränkt bleiben. Auch der Ökostrom, mit dem die Wärmepumpen betrieben werden, macht nur 8 Prozent des gesamten Primärenergiebedarfs des Fernwärmesystems aus. Somit wird Bracht künftig zum weit überwiegenden Teil von der Sonne beheizt.
Anschlussquote ist für die Energiegenossenschaft wesentlich
Inzwischen sind fast 200 Mitglieder der Energiegenossenschaft Solarwärme Bracht eG beigetreten. Ihre 177 Gebäude warten nun auf einen Fernwärmeanschluss. „Das ist eine Anschlussquote von 60 Prozent“, freut sich Helgo Schütze. „Und wir gehen davon aus, dass noch der eine oder andere hinzukommen wird, wenn wir beim Netzausbau sind.“ Diese Erfahrung haben schließlich auch andere neue Wärmenetzprojekte gemacht. Wenn der Bagger vor der Tür steht merken alle, dass die Chance auf einen günstigen Wärmenetzanschluss so schnell nicht wieder kommt. Dann erst überwinden einige Mitbürger ihre anfängliche Skepsis gegenüber der neuen Art des gemeinschaftlichen Heizens.
Wenn am Ende viele mitmachen, trägt das jahrelange ehrenamtliche Engagement der wenigen Initiatoren solcher Bürgerwärmenetze wie in Bracht Früchte. Technik, Finanzierung, Genehmigungsverfahren verlangen Vorstand und Aufsichtsrat einer Wärmegenossenschaft viel ab. Und doch ist Kommunikation, also die Überzeugungsarbeit innerhalb der Bürgerschaft, vielleicht die Königsdiziplin für die Ehrenamtler. Denn nur wenn genug Hausanschlüsse zusammenkommen, kann sich ein Wärmenetz wirtschaftlich lohnen. Und manch ein Projekt scheitert an zu geringen Anschlussquoten.
Benjamin Dannemann vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband sieht allerdings Bürgerenergiegesellschaften genau deshalb im Vorteil: „Die Mitglieder für einen Anschluss zu motivieren, ist ein hoher Aufwand. Gleichwohl bietet gerade dieses ehrenamtliche Engagement Vorteile besonders im ländlichen Raum. Overhead-Kosten wären sonst vielleicht gar nicht zu stemmen.“
Demokratische Wärme
Helgo Schütze erlebt die Genossenschaft aber nicht nur als kostengünstiges Modell. Vielmehr müsse es ein demokratischer Prozess sein, bei solch einem Projekt über die Investitionskosten und die Wärmepreise zu entscheiden: „Darum sehen wir die Genossenschaft für uns als die einzige mögliche Betreibergesellschaft an.“
Autor: Guido Bröer | © Solarthemen Media GmbH
Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 4/2024 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!