Neue Leitung soll Windstrom zwischen Deutschland und Großbritannien transportieren
Die Arbeiten auf der deutschen Seite der Stromleitung beginnen heute in Wilhelmshaven. Die Leitung „Neuconnect“ soll vom dortigen Umspannwerk Fedderwarden zum Umspannwerk Isle of Grain in der britischen Grafschaft Kent führen. Die Trasse ist 720 Kilometer lang und führt über deutsches, niederländisches und britisches Hoheitsgebiet. Die Länge des deutschen Teils der Leitung beträgt 193 km. In der Nordsee ist die Leitung als Unterseekabel und auf der deutschen Landseite als Erdkabel geplant. Die Kapazität soll 1,4 GW betragen, was rechnerisch bis zu 1,5 Millionen Haushalten entspricht. Die Stromleitung zwischen Deutschland und Großbritannien soll 2028 in Betrieb gehen, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die Investitionskosten sollen bei einem internationalen Konsortium liegen.
„Neuconnect“ soll durch den direkten Stromaustausch zwischen Deutschland und Großbritannien zur Versorgungssicherheit in beiden Ländern beitragen, heißt es in einer Pressemitteilung des BMWK. Großbritannien verfügt über erhebliche Potentiale bei der Erzeugung von Offshore-Windenergie. Bis 2030 soll die installierte Leistung auf 50 GW wachsen. Über Neuconnect werde daher perspektivisch grüner Strom nach Deutschland fließen, so das BMWK.
Zum symbolischen ersten Spatenstich kommen unter anderem der deutsche Minister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck und der britischen Staatsminister für Handelspolitik Gregory Hands. „Das klimaneutrale Stromsystem braucht Flexibilität. Deshalb bauen wir nicht nur die Stromnetze in Deutschland aus, sondern sorgen auch für Stromtrassen zu unseren Nachbarn. Der Bau der diese Stromverbindung ist einer von vielen Bausteinen der Dekarbonisierung, verbunden mit weiterhin höchster – auch grenzüberschreitender – Versorgungssicherheit. Beides muss Hand in Hand gehen“, sagt Habeck.
Zu wenig Windenergie: Deutschland wird Netto-Stromimporteur
Auch VDI-Energieexperte Harald Bradke rechnet damit, dass in Zukunft vermehrt Windstrom aus anderen Ländern nach Deutschland kommt. Deutschlands Stromnetz ist bereits seit langem mit allen Stromnetzen seiner Nachbarländer verbunden. Bisher war Deutschland in der Regel ein Nettoexporteur von Strom. Im Jahr 2022 exportierte Deutschland 60 TWh erlöste damit 11,6 Milliarden Euro, während im selben Jahr 33 TWh für 9,2 Mrd. Euro importiert wurden. „Dieser seit mehr als fünfzehn Jahren anhaltende Nettoexportüberschuss von Strom aus Deutschland trug damit nicht nur zu hohen finanziellen Einnahmen für die deutsche Elektrizitätswirtschaft bei, sondern führte auch zu moderateren Strompreisen in ganz Europa“, sagt Bradke.
Doch im Jahr 2023 überwog der Stromimport. Bradke fürchtet, dass sich diese Entwicklung verstetigt. „Aufgrund des schleppenden Ausbaus der Stromerzeugung aus Windenergie bei uns, ist zu erwarten, dass sich Deutschland zumindest mittelfristig von einem Strom-Exportland zu einem Strom-Importland entwickeln wird“, sagt er. An der Versorgungssicherheit liege das aber nicht. Die könne man grundsätzlich auch mit fossilen Kraftwerken erhalten. Vielmehr liege es daran, dass „unsere Nachbarn – vor allem im Norden Europas – günstigen Windstrom anbieten konnten und somit die teureren fossilen deutschen Kraftwerke nicht benötigt wurden.“
Stromleitung nach Großbritannien soll Stromkosten in Deutschland senken
Großbritannien ist bereits durch Hochspannungs-Gleichstromleitungen (HGÜ-Leitungen) mit Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Frankreich verbunden. Aus diesen Ländern habe es bisher Netto-Stromflüsse auf die britischen Inseln gegeben. „Bis die „Stromautobahnen“ vom Norden in den Süden Deutschlands fertig ausgebaut sind, wird auch deutscher Windkraftstrom nach Großbritannien fließen und muss bei einem hohen Windstromangebot an den deutschen Küsten nicht mehr abgeregelt werden“, prognostiziert Bradke. Das werde die deutschen Stromkunden finanziell entlasten.
Auf längere Sicht rechnet jedoch auch der VDI-Experte damit, dass Windstrom aus den Windparks vor Schottland günstigen Strom nach Deutschland fließen wird. Vor allem wäre das dann der Fall, wenn an der deutschen Nord- und Ostsee Flaute herrsche. Durch die europäische Zusammenarbeit werde daher auch der Ausstoß von Treibhausgasen sinken. „Gleichzeitig wird es helfen, die Stromkosten in Europa weiter zu reduzieren und damit einen Beitrag für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu liefern“ so Bradke.
Die EU-Kommission hat die neue Stromleitung als „Project of Common Interest“ (PCI) eingestuft. Diesen Status erhalten wichtige Infrastrukturprojekte, die der Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes dienen und der EU helfen, ihre Energie- und Klimaziele zu erreichen. Sie profitieren von beschleunigten Genehmigungsprozessen. Zudem können sie EU-Fördermittel aus der „Connecting Europe Facility“ CEF erhalten.