Warten auf das Netz und grünen Wasserstoff

Eine Konstruktion aus grauen Pipelinen und Stangen mit zwei Männern in roter Weste im Hintergrund auf Türmen.Foto: Storengy
Warten auf Regeln, die einen wirtschaftlichen Betrieb erlauben: am Standort Harsefeld will Storengy neben bestehenden Erdgas- auch zwei Kavernenspeicher für Wasserstoff bauen.
Um die Industrie zu dekarbonisieren, braucht es enorme Mengen grünen Wasserstoffs. Der wird großteils aus dem Import stammen, weshalb eine Infrastruktur mit Netzen und Speichern geschaffen werden muss. Noch sind dabei aber viele Fragen offen.

Auf Korsika muss man auf solaren Wasserstoff nicht mehr warten. Er steht schon bereit. Und zwar beim Industrieunternehmen Corstyrene, das ihn aus einer eigenen 100 Kilowatt starken Photovoltaikanlage produziert. Er dient dazu, sieben Gabelstapler über Brennstoffzellen anzutreiben. Produzent der Flurförderzeuge ist die zum Kion-Konzern zählende Still GmbH. Sie hat in Hamburg unlängst ihre erste Produktionslinie für Wasserstoffgabelstapler in Betrieb genommen. Sie kann perspektivisch 5.000 Einheiten im Jahr produzieren. Noch kommen sie überwiegend bei Pilotprojekten zum Einsatz, etwa bei der Mercedes-Benz-Produktion in Düsseldorf.

Der Engpass für die Ausbreitung der Brennstoffzelle sei die mangelnde Verfügbarkeit von Wasserstoff, erklärte das Unternehmen bei einem Besuch der Solarthemen vor Ort. Still erwartet, dass sich das mit der Schaffung des Wasserstoffkernnetzes ändern wird. Die Brennstoffzellensysteme sind zwar rund 50 Prozent teurer als Stapler, die mit Lithium-Ionen-Speichern fahren. Für den Preisaufschlag haben Kunden aber den Vorteil, die Wasserstoff-Stapler rund um die Uhr laufen zu lassen. „Der Tankvorgang dauert anderthalb Minuten“, sagt Betriebsleiter Jan Lemke. Der 0,6 Kilogramm Wasserstoff fassende Tank reiche dann für sechs bis acht Stunden. Zum kontinuierlichen Betrieb brauche ein Batteriestapler dagegen eine zweite Batterie, was Kosten und Zeitaufwand steigen lasse.

Ökonomisch rechne sich eine Gapelstabler-Brennstoffzellen-Flotte ab einem Gesamtverbrauch von 30 Kilogramm pro Tag. Das betrifft also größere Industriekunden. Durch das Wasserstoffnetz hofft Still auf sinkende Preise für das Gas, das derzeit bei mehr als zehn Euro je Kilo notiert. „Ab drei Euro wird es bei der Wirtschaftlichkeit sehr grün“, so ein Vertreter des einst in Hamburg gegründeten Unternehmens.

700 MW Wasserstoff aus Wind- und Solarstrom

Hamburg spielt auch für die Wasserstofflogistik in Deutschland eine zentrale Rolle. Denn künftig will der Hafen des Stadtstaats große Mengen an Wasserstoff und Derivaten aus dem Import umschlagen. „Gemessen am künftigen Bedarf wird Deutschland rund 70 Prozent importieren müssen“, sagt Sebastian Topp aus der Stabsstelle Wasserstoff der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Großkonzerne planen Milliardeninvestitionen zur Anladung und Lagerung von grünem und blauem Wasserstoff. Die Behörde rechnet mit ersten Importen über den Seeweg und als Ammoniak aus Chile ab 2026. Außerdem plant Hamburg mit der Anlandung von grünem Ammoniak aus Saudi-Arabien.

Im Hamburger Hafen, dort wo einst das Kohlekraftwerk Moorburg seinen Dienst tat, will die Stadt auch einen Groß-Elektrolyseur ansiedeln, ursprünglich mit einer Leistung von 100 Megawatt (MW). „Wir sprechen wegen des Riesenbedarfs mittlerweile über 700 MW“, so Topp. Der Strom soll dabei aus Solar- und Windenergie-Anlagen aus Schleswig-Holstein stammen, die sonst abgeregelt würden.

Investitionsentscheidungen stehen noch aus

Letztlich ist die Verwirklichung der großen Pläne aber davon abhängig, dass die Unternehmen ihre Investitionen auch umsetzen. Denn vielfach sind die konkreten Investitionsentscheidungen noch nicht gefallen. Sollten also Investoren oder Liefernationen aus geopolitischen Erwägungen wieder aussteigen, könnte die Vision vom Wasserstoff auch Makulatur werden.

Doch das würde die Dekarbonisierung vieler Industrien untergraben. Die konkrete Verfügbarkeit von Wasserstoff über eine eigene Infrastruktur sei für hiesige Unternehmen etwa aus der Stahl- und Glasbranche entscheidend, um Industrieprozesse auch wirklich umzustellen, sagt Gunnar Assmann. Er ist Projektleiter beim Speicherspezialisten Storengy. Der betreibt im niedersächsischen Harsefeld zwei Erdgaskavernenspeicher. Die Tochter des französischen Energiekonzerns Engie plant darüberhinaus zwei Salzkavernen für grünen Wasserstoff abzuteufen. Dafür sollen mit Hilfe kirkulierenden Wassers Hohlräume in den 1.000 Meter Tiefe liegenden Salzkörper gespült werden. Jede Kaverne soll 7.500 Tonnen des flüchtigen Gases speichern und abgeben können. Zum Vergleich: der Bedarf eines regionalen Stahlwerks liege laut Storengy bei 140 Tonnen Wasserstoff pro Tag. Der erste Wasserstoffspeicher könnte ab 2030 zur Verfügung stehen, der zweite 2034.

Noch kein Geschäftsmodell für Wasserstoffspeicher

Für das Vorhaben veranschlagt das Unternehmen ein Invest im „mittleren dreistelligen Millionenbereich“. Es ist zudem förderfähig. Die Europäische Union hat es unter dem Namen SaltHy als Projekt von gemeinsamem europäischem Interesse („Project of Common Interest“) eingestuft. Die Mittel würden aber nur dann investiert, wenn es für Wasserstoffspeicher ein Geschäftsmodell gebe, stellt Assmann klar. Das sei bisher aber nicht der Fall.

Notwendig sei deshalb eine politische Entscheidung, wie die Kapazitäten künftig reguliert werden, etwa, ob es feste Entgelte gibt oder vorgeschriebene Quoten für die Versorger. Storengy bevorzuge ein freies Marktmodell. Erfolge eine solche politische Weichenstellung zeitnah, soll der Bau für die Wasserstoff-Kavernen im ersten Quartal 2025 starten.

Je Kaverne könnte der Standort 0,2 Terawattstunden (TWh) zur Verfügung stellen. Das sind fünf Prozent der von der Bundesregierung bis 2030 angestrebten Wasserstoff-Speicherkapazitäten. Der potentielle Bedarf für kontinuierlich zur Verfügung stehenden Wasserstoff ist insbesondere im Norden groß. Allein Industrie und Verkehr in Hamburg könnten 2030 laut Wirtschaftsbehörde mehr als 7 bis 8 TWh Wasserstoff nachfragen.

Anmerkung: der Artikel erfuhr am 14.6.2024 Änderungen. In der ersten Version wurde eine falsche Herkunftsangabe des Hamburger Unternehmens Mabanaft verwendet. Die entsprechende Passage wurde deshalb ohne die Nennung konkreter Namen angepasst und um Länderangaben erweitert.

Quelle: Oliver Ristau | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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