Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung – viele Details noch unklar
Seit Inkrafttreten des sogenannten Solarpakets am 16. Mai 2024 gibt es in Deutschland zwei verschiedene Möglichkeiten für die Solarstromversorgung in Mehrparteienhäusern: das klassische „Mieterstrom“-Modell und die neu eingeführte „gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“. Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung soll vieles einfacher machen. Denn hier haben die Kundinnen und Kunden jeweils zwei Stromlieferverträge: einen für den Solarstrom, einen für den Reststrom. Wer nur den Solarstrom liefert, muss sich also nicht mehr wie beim bisherigen Mieterstrom-Modell des EEG um die Vollversorgung kümmern. Damit fallen viele Meldepflichten und sonstige bürokratische Aufgaben weg, ebenso wie der schwer kalkulierbare Reststrom-Einkauf.
Stromlieferantenwechsel bei gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung nicht nötig
Die Hausbewohner müssen ihrerseits die bestehenden Stromlieferverträge nicht kündigen. Was wie eine Formalie klingt, ist für viele Mieterstromprojekte ein Hindernis. Manche Bewohner wollen unbedingt den Reststrom weiterhin von ihrem Lieblingsökostromversorger beziehen, andere vergessen einfach das Kündigen.
Außerdem erfordert die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung auch eine geringere Anfangsinvestition. Denn im Gegensatz zum Mieterstrom wird ein Summenzähler mitsamt dem teuren Messwandler für die korrekte Abrechnung der Strommengen nicht benötigt.
Geht also alles ganz leicht und die Solarisierung im Mehrparteienhaus kann endlich losgehen? Leider nein. „Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist nicht so einfach, wie viele denken“, sagt Michael Vogtmann vom Landesverband Franken der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Denn das Messen und Abrechnen bleiben kompliziert. Der abrechnungstechnisch im Haus verteilte Strom muss nämlich auch wirklich dort verbraucht worden sein – zumindest in der Viertelstundenbilanz. Um das sicherzustellen, müssen moderne Messeinrichtungen im Haus installiert werden, und zwar für alle teilnehmenden Anschlüsse. Doch die grundzuständigen Messstellenbetreiber kommen kaum hinterher. „Wir hören von Wartezeiten zwischen sechs Wochen und anderthalb bis zwei Jahren“, sagt Michael Vogtmann. Hier kommen wettbewerbliche Anbieter ins Spiel. Doch die sind teuer. „Die Kosten können leicht bei 70 Euro pro Jahr und Messstelle liegen.“
Statische Lösung senkt Eigenverbrauch
Die Zuordnung des Solarstroms ist eine Wissenschaft für sich. Das Gesetz ermöglicht eine „dynamische“ oder eine „statische“ Zuordnung. Dynamisch heißt: Der Solarstrom wird in der Abrechnung genauso verteilt, wie er in den realen 15-Minuten-Slots verbraucht wird. Das ist die einfachste Variante, aber bei Weitem nicht die einzige.
„Im Grunde können die Vertragsparteien die Aufteilung der Strommengen frei vereinbaren“, sagt Vogtmann. Vertragsvorlagen gibt es – ähnlich wie beim Mieterstrom – beim DGS-Landesverband Franken. Wenn die Hausbewohner gemeinsam in die PV-Anlage investiert haben, ist es zum Beispiel naheliegend, dass sie den Solarstrom entsprechend ihrer Investitionsanteile verteilen wollen. Dann gilt dieses festgelegte prozentuale Verhältnis nicht einfach in der Jahresbilanz, sondern in jeder einzelnen Viertelstunde.
Praktisch heißt das, dass ein einziger Anschluss mit einem hohen prozentualen Anteil und geringer realer Abnahme während der mittäglichen Erzeugungsspitze den betriebswirtschaftlichen Eigenverbrauch des gesamten Projekts drastisch drücken kann. Bezieht ein einzelner Haushalt per Vertrag 50 Prozent des Solarstroms, verbraucht aber in einem Zeit-Slot zum Beispiel nur wenige Wattstunden, werden die Eigenverbräuche der anderen Haushalte gemäß dem Verteilungsschlüssel proportional angepasst. Das gilt auch dann, wenn diese real mehr Strom beziehen. Bilanziell wird also im Haus verbrauchter Solarstrom erst ins Netz gespeist und dann von dort zurückgekauft. „Die statische Aufteilung führt daher zu eher geringeren Direktverbrauchsquoten übers Jahr und somit zu einer geringeren Wirtschaftlichkeit der PV-Anlage als Ganzer“, bilanziert Vogtmann.
Digitale Marktkommunikation für gemeinschaftliche Gebäudeversorgung
Doch zusätzlich entsteht eine weitere Komplikation. Die Strommenge, die auf diese Weise dem Bilanzkreis des Netzbetreibers zugeschlagen wird, unterscheidet sich von dem, was tatsächlich ins Netz fließt. Sie kann also nicht einfach per Messung ermittelt werden. Vielmehr muss der Betreiber der Gebäudestromanlage den Wert an die „zuständige Stelle“ übermitteln, heißt es im Solarpaket I. Das digitale Auseinanderklamüsern, neue Zuordnen und übermitteln dieser Daten nennt sich „elektronische Marktkommunikation“.
Erstmal soll diese zuständige Stelle der Netzbetreiber sein, der den Aufteilungsschlüssel vom Betreiber der Gebäudestromanlage erhält. Doch wie genau die elektronische Markkommunikation funktionieren soll, ist noch nicht klar.
Wie immer in der Solarbranche gibt es aber auch in der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung ein paar Pioniere, die erste Projekte auf den Weg bringen. An einem ist ein größerer Verteilnetzbetreiber in Süddeutschland beteiligt. Auch das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) will insgesamt zwölf Projekte seiner Mitglieder an verschiedenen Standorten begleiten. „Auf solche Best-Practice-Beispiele können dann die Regeln für einheitliche Verfahren aufbauen“, sagt Vogtmann.
Rolle der Wohnungsverwaltung
Klar ist aber auch: Die Abrechnung für eine gemeinschaftliche Gebäudeversorgung wird aufseiten der Vermieter beziehungsweise Wohnungsverwaltung nicht nebenbei mit einer Excel-Tabelle funktionieren, sondern nur mit digitalen Schnittstellen. „Wir hoffen, dass sie sich auch ohne spezialisierte Anbieter umsetzen lassen wird“, sagt Malte Zieher vom Bündnis Bürgerenergie. Mindestens die Messstellenbetreiber müssten dann aber auf das Konzept zugeschnittene Leistungen anbieten. Eine Pressemitteilung des Abrechnungsdienstleisters Techem zeigt, dass das Thema dort sehr präsent ist. Einer Umfrage des Unternehmens zufolge würden etwa zwei Drittel der Vermietenden Lösungen „aus einer Hand“ bevorzugen. Gero Lücking, vielen noch aus seiner Zeit beim Ökostrom-Anbieter Lichtblick bekannt, ist nun Head of Smart Metering bei Techem und sieht sein Unternehmen als „idealen Partner zur Umsetzung von Projekten zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“. Doch konkrete Angebote für die Abrechnung von gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung – oder zumindest Starttermine für ein solches Angebot – waren bei Redaktionsschluss weder bei Techem noch bei anderen Anbietern zu finden.
Was soll man nun tun, wenn das Haus gerade renoviert wird und die günstige Gelegenheit für den Bau einer PV-Anlage da ist? Vogtmann empfiehlt als Erstes einen Blick in den Keller des Gebäudes. Denn gerade bei Altbauten sind die Hausanschlussräume oft eng und verwinkelt. Passt dort kein Summenzähler mitsamt Messwandler und der nötigen Rückenfreiheit hin, sei das Thema „Mieterstrom“ schnell erledigt. Ist der Platz hingegen vorhanden und sind viele Haushalte am Bezug von Solarstrom interessiert, rät Vogtmann trotz der höheren Investition zum Mieterstrom-Modell mit dem klassischen Summenzähler. Das spart auf Dauer Kosten bei den Zählern, von der Wartezeit und den Komplikationen mit dem noch unbekannten Modell ganz abgesehen. Wer keinen Platz für einen Summenzähler hat, kann auch einfach eine PV-Anlage zur Volleinspeisung bauen und später auf die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung umrüsten.
Es kann nur leichter werden
Ob Volleinspeisung, Mieterstrom oder gemeinschaftliche Gebäudeversorgung – alle Betriebsmodelle werden umso leichter, je besser sich alle Beteiligten damit auskennen. Und das Interesse ist groß, beobachtet Vogtmann, der auch als Referent in vielen Weiterbildungsprogrammen spricht. Zu den Kunden zählen Elektro- und Solarfirmen, die sich mit Angeboten für größere Gebäude von der Konkurrenz absetzen wollen. Aber auch bei Verwaltungen von Wohnungseigentümergemeinschaften und bei Netzbetreibern wächst das Interesse. In wenigen Jahren könnte die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung den Großteil der neuen PV-Anlagen auf Mehrfamilienhäusern ausmachen, schätzt Vogtmann. Wirklich einfach werde sie aber nie. „Wo verschiedene Personen etwas gemeinsam umsetzen, gibt es immer Herausforderungen“, bilanziert er. Deshalb gelte auch: „Mit den Menschen im Haus zu sprechen und möglichst viele Parteien für das Modell zu gewinnen, ist am Ende wichtiger als die Frage, ob jetzt ein paar Module mehr oder weniger aufs Dach passen.“
Autorin: Eva Augsten | © Solarthemen Media GmbH