Martin Bialluch (BBEn): Bürgerenergie wird zunehmen

Portraitfoto von Martin Bialluch, Vorstandssprecher des Bündnis BürgerenergieFoto: Silke Reents
Martin Bialluch ist Geschäftsführender Vorstand und Vorstandssprecher im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Im Solarthemen-Interview erklärt er, welche Rolle die Bürgerenergie in seinen Augen für die Energiewende spielt und wohin sie sich künftig entwickeln könnte. Finanzielle Beteiligung von Kommunen und Bürgern, sei wichtig, aber noch nicht alles. Partizipation solle wesentliches Element der Bürgerenergie sein.

Martin Bialluch: Richtig ist, dass die Bürgerenergie den Grundstein für die Erneuerbaren gelegt hat. Weil die Pionier:innen zeigten, was erneuerbare Energien können, sprechen wir heute über Energiewendeziele von 100 Prozent erneuerbare Energie. Die Bürgerenergie selbst hat sich seit den 1990ern stark weiterentwickelt und professionalisiert. Wir haben die Energiewende in Gang gebracht und treiben weiterhin die dezentrale Energiewende voran.

Allein im Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisen-Verband, dem DGRV, gibt es 950 Energiegenossenschaften, die seit 2006 gegründet wurden. In ihnen haben 220.000 Mitglieder 3,4 Milliarden Euro investiert. Sie erzeugen 8 Terawattstunden Strom, was etwa 3 Prozent der gesamten Stromerzeugung in Deutschland entspricht. Aber die Genossenschaften machen vermutlich nur etwas mehr ein Drittel des Bürgerenergiesektors aus.

Nein, das würde ich nicht sagen. Viele Leute, die in einer Bürgerenergiegemeinschaft Mitglied sind, haben einen privilegierten Zugang zu Bildung und Geld, aber wir arbeiten daran, dass die Bürgerenergie bekannter wird und mehr Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund sich beteiligen. Wir versuchen gerade auch jüngere Leute anzusprechen. Da passiert gerade ganz viel. Wir versuchen jetzt Kapital und Engagement breiter zu streuen. Reich muss man dafür wahrlich nicht sein, in manchen Genossenschaften kann man schon mit 50 Euro einsteigen. Ich glaube, das Problem liegt eher an mangelnder Bekanntheit: Wenn Leute etwas Geld investieren und mit ihrem Geld was Gutes tun wollen, dann denkt noch nicht jeder zuerst an Bürgerenergie.

Es funktioniert, denn es kommt darauf an, Vertrauen aufzubauen. Wenn tatsächlich vor Ort entschieden wird, Windräder zu bauen, dann ist die Unterstützung da – auch wenn es immer jemand gibt, der das nicht gut findet. Forschungsergebnisse zeigen, dass es vor Ort meist nur eine überschaubare Anzahl von Gegnern der Windprojekte gibt und eine relativ große schweigende Mehrheit. Bei einem Bürgerenergieprojekt sind die Akteure vor Ort verwurzelt, sie kennen die Leute, am Ende haben dann fast alle mitgeredet und es kann sich jeder beteiligen. Leute erleben es hingegen anders, wenn große Konzerne einen riesigen Wind- oder PV-Park hinbauen. Man hat den ganzen Ärger und die Aussicht auf die Anlagen, aber den Strom verbrauchen glückliche Menschen in der Großstadt, und irgendwelche Konzerne werden damit reich. Dem müssen wir entgegenwirken, indem Leute beteiligt werden und mitbestimmen.

Das ist tatsächlich eine spannende Frage. Es gibt große Projektierer, die sich Flächen für ihre Großprojekte Jahre im Voraus sichern. Einige gehen dabei partizipatorisch vor, andere weniger. Hier würde eine bundeseinheitliche Bürgerbeteiligung helfen. Für unsere Bürgerenergieprojekte braucht man die Leute vor Ort und die Idee, es machen zu wollen. Wir haben weniger Geld und Personal, um die Bürokratie zu bewältigen. Außerdem sind die Pachtpreise für Flächen gestiegen. Also: Bürgerenergie-Projekte haben es schwerer, weil sie nicht solche Ressourcen haben wie große Konzerne. Dafür haben sie aber das Potenzial, Ärger zu verhindern und die Leute mitzunehmen.

Bürgerenergiegemeinschaften sind unser Goldstandard. Der Klassiker ist, dass man nicht nur mitverdient, sondern auch mitentscheidet, zum Beispiel in einer Genossenschaft. Für uns hat Bürgerenergie einen Anspruch, der über eine passive Beteiligung hinausgeht. Uns ist das partizipative, demokratische, soziale und dezentrale Element daran wichtig. Bürgerenergie muss dabei auf den Nachwuchs schauen und wie beispielsweise Digitalisierung dafür eine Rolle spielt. Da geht’s auch um kulturelle Dinge, also wie man sich gründet, wie man sich trifft. Es muss Innovationen geben, damit es für neue Kreise interessant wird.

Wir haben im Januar zusammen mit der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften im DGRV einen Vorschlag für ein bundeseinheitliches Bürgerbeteiligungsgesetz gemacht, weil wir es tatsächlich wichtig finden, das auf Bundesebene zu regeln, damit kein Flickenteppich entsteht. Das war aber bisher politisch nicht durchsetzbar. Wir haben wirklich viel probiert und wir bleiben natürlich weiter am Thema dran, um einen möglichst einheitlichen Standard zu erreichen.

Ein guter Beteiligungsstandard sollte eben nicht nur einen festen, sehr geringen Cent-Betrag pro Kilowattstunde definieren; das reicht uns nicht. Da fehlt uns die Mitbestimmung. Deswegen wollen wir ein festes Verfahren, wie Bürgerbeteiligung auszusehen hat. Das ist am Ende gut für alle, auch für die jeweiligen Investoren und Projektierer, weil sie Klarheit bekommen, wie der Beteiligungsprozess abzulaufen hat. Manche Länder diskutieren oder erlassen unterschiedlich gute Gesetze, es wäre für alle einfacher, wenn das bundeseinheitlich geregelt würde.

Mitbestimmung ist unser oberstes Ziel. Das funktioniert am besten über gesellschaftsrechtliche Beteiligung. Eine angemessene Beteiligung sollte sich zumindest an einer Höhe von über 20 Prozent der Geschäftsanteile orientieren. Eine Ausgleichsabgabe von 0,2 Cent ist nur eine Notlösung, wenn gar nichts anderes funktioniert.

Entscheidend bei der Bürgerenergie ist die Teilhabe, das Verständnis für die Energiewende und der persönliche Bezug. Es gibt tolle Beispiele, dass Windparks Kitas oder andere kommunale Einrichtungen finanzieren. Oft ist jedoch nicht transparent, was mit den kommunalen Einnahmen aus den Anlagen vor Ort finanziert wird. Daher sprechen wir uns für direkte Beteiligung aus.

Auf EU-Ebene ist ja schon rechtlich festgesetzt, dass es Energy Sharing geben wird. In Deutschland ist es aber noch nicht umgesetzt. Da arbeiten wir seit Jahren dran. Wir führen dazu Gespräche mit dem BMWK im Rahmen des Stakeholderdialogs. Jetzt wird früher oder später dazu was passieren.

Das ist für mich wirklich schwer zu verstehen. Es läuft sogar ein formales Vertragsverletzungsverfahren gegen die
Bundesregierung, weil Energy Sharing schon über die RED 2 europaweit verpflichtend war. Jetzt ist es über die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie wieder auf dem Tisch der Bundesregierung gelandet, und nun passiert endlich was. Warum es so lange dauert, kann ich nicht sagen. Energy Sharing ist natürlich ein sehr spezielles Thema. Bislang hat sich die Bundesregierung auf die formale Antwort zurückgezogen, es sei ja nicht verboten. Natürlich wird keiner verhaftet, der es macht. Aber es ist wirtschaftlich zurzeit nicht vernünftig darstellbar. Wenn da demnächst ein Vorschlag kommt, müssen wir darauf achten, wie gut das in der Praxis umsetzbar ist.

Ich glaube, dass die Bürgerenergie weiter wachsen wird. Weil unser ganzes Energiesystem immer dezentraler wird und damit kleinere, regional verortete Einheiten die größte Rolle spielen. Man sieht es an Dingen wie PV-Aufdachanlagen, Balkonsolar und so weiter. Natürlich werden auch noch mehr Konzerne einsteigen, aber ich glaube, die Bürgerenergie wird ihre Rolle wahrnehmen und wieder daran wachsen – auch in den urbanen Räumen. Zumal die Bürgerenergiegemeinschaften ihre Geschäftsfelder erweitern. Heute betreiben 80 Prozent der Bürgerenergiegesellschaften Photovoltaik und etwa 30 Prozent Windenergieanlagen. Bereits 27 Prozent kümmern sich aber auch um Wärmenetze, manche machen schon E-Mobilität. Oft schreitet die Bürgerenergie voran, wo große Konzerne noch nicht willig oder nicht in der Lage sind, das zu machen.

Interview: Guido Bröer | © Solarthemen Media GmbH

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