Windenergie und Rotmilan: Wahrscheinlichkeitstheorie für die Praxis
Können sie nebeneinander auf der selben Fläche existieren oder nicht? Das ist die Frage, die bei der Kombination von Rotmilan und Windenergie die Gemüter bewegt. Standardmäßig gilt bisher: Windräder direkt am Brutplatz sind gefährlich für die Vögel. Im etwas weiter entfernten „zentralen Prüfbereich“ kann man die Gefahr im konkreten Fall widerlegen. Um das Risiko der Kollision von Rotmilan und Rotorblatt in dieser Zone abzuschätzen – und zwar verlässlich und mit überschaubarem Aufwand – werden immer wieder neue Methoden diskutiert.
Rotmilan und Windenergie im Spannungsfeld
Jetzt hat eine von der Umweltministerkonferenz eingesetzte Unterarbeitsgruppe Probabilistik die sogenannte Fortsetzungsstudie zur Probabilistik veröffentlicht. Sie entwickelt das Hybrid-Modell zum Raumnutzungs-Kollisionsrisikomodell (RKR) weiter und gestaltet es für den Rotmilan vollzugstauglich aus. Damit wollen die Umweltminister:innen also einen Weg eröffnen, um die Windenergie und den Rotmilan in Koexistenz zu bringen.
Bärbel Heidebroek, die Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie (BWE) sieht in der Fortsetzungsstudie einen wichtigen Schritt, um Kollisonsrisiken von Vögeln wie dem Rotmilan bewerten zu können. „Dass das Modell nun für den Rotmilan vollzugstauglich vorliegt, ist eine gute Nachricht“, so Heidebroek. „In weiteren Schritten muss das Modell nun auch auf weitere gefährdete Brutvogelarten ausgeweitet werden.“ Der BWE fordert, die Bundesregierung solle die Probabilistik schnellstmöglich als Bewertungsmethode rechtlich verankern.
Entwicklung der Verfahren
Im vorigen Jahr stand die „Habitatpotenzialanalyse“, kurz HPA, im Fokus. Dabei geht es um die Frage, wie attraktiv eine Fläche sozusagen aus der Vogelperspektive ist. Wo es zum Beispiel viele Mäuse gibt, werden Greifvögel häufig auf Futtersuche sein. Die HPA ist im Bundesnaturschutzgesetz bereits als Methode verankert.
Der Bundesverband Windenergie (BWE) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatten im März 2023 daher ein Verfahren vorgestellt, wie man die HPA aus ihrer Sicht gestalten könnte. Doch damit stießen sie in den zuständigen Ministerien nicht auf allzu viel Resonanz. Im April 2023 legten die Ministerien ein Fachkonzept vor, Ende 2023 folgte ein Verordnungsentwurf. Beides stieß beim BWE auf Protest. Die Standard-Annahme, die Windturbinen könnten Vögeln wie dem Rotmilan im „zentralen Prüfbereich“ gefährlich werden, ließ sich damit nämlich nur selten widerlegen.
Probilistik statt Habitatpotenzialanalyse: Kollissionsrisiko in drei Dimensionen berechnen
Daraufhin brachte der Verband eine neue Methode ins Spiel, die sogenannte Probabilistik – eine wahrscheinlichkeitstheoretische Berechnung für das Risiko eines Rotmilans, von einem Rotorblatt erschlagen zu werden. Die Probabilistik ist im Bundesnaturschutzgesetz ebenfalls erwähnt, wurde aber bisher noch geprüft. Mittlerweile ist man mehrere Schritte weiter.
Im Mai 2023 erschien eine Pilotstudie zum sogenannten „Hybrid-Modell“, das die Methoden von HPA und Probabilistik kombiniert. Nun folgte eine weitere Ausarbeitung, die „Fortsetzungsstudie Probilistik“. Sie beschreibt ein „Raumnutzungs-Kollisionsrisikomodell“, kurz „RKR-Modell. Es soll weitere Risikofaktoren einbeziehen. Wie hoch fliegen die Tiere üblicherweise? Wie ändern sie ihr Verhalten bei mehr oder weniger Wind? Denn nur, dass es in einem Gebiet Rotmilane gibt, muss schließlich noch nicht heißen, dass sie sich mit der Windturbine ins Gehege kommen, so die Logik hinter dem Modell. Wie man die jeweiligen Faktoren erfasst und daraus ein Kollissionsrisiko berechnet, haben die Studienautoren am Beispiel des Rotmilans jetzt soweit durchdekliniert, dass man das Verfahren in der Praxis anwenden könnte.
Nun ist wieder die Regierung am Zug, um aus der Berechnung eine Rechtsgrundlage zu machen. So zumindest wäre es der Wunsch des BWE. Doch so einfach ist es nicht. Der Naturschutzverband Nabu hatte die Probabilistik Ende 2023 als noch nicht genügend ausgereift kritisiert. Sie liefere zwar konkrete Zahlen, aber ob diese denn stimmen würden, sei noch zu überprüfen. Auch, dass das Flugverhalten der Tiere sich mit den Jahreszeiten verändert, könne die Methode noch nicht abbilden.
Allen Berechnungen zum Trotz bleibt der Beziehungsstatus also erstmal wie er war: kompliziert.
Autorin: Eva Augsten | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH