Bioraffinerie Rheinfelden: Mikroorganismen produzieren Wasserstoff aus Spülwasser

2 Frauen und zuweio Männer durchtrennen lachend ein Seil zur Einweihung einer Apparatur im Laborumfeld.Foto: Evonik
Marion Dammann, Landrätin Landkreis Lörrach, Staatssekretär Dr. Andre Baumann, Hermann Becker, Standortleiter Evonik, Dr.-Ing. Ursula Schließmann, stv. Institutsleiterin Fraunhofer IGB und Projektkoordinatorin (v. l. n. r.) eröffnen den Demonstratorbetrieb der SmartBioH2-Bioraffinerie bei Evonik in Rheinfelden.
Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB hat eine Anlage entwickelt, die aus Spülwasser und anderen Reststoffen grünen Wasserstoff produzieren will. Verantwortlich für die Synthese sind Bakterien und Mikroalgen.

Die Demonstrationsanlage einer Bioraffinerie im badischen Rheinfelden will zeigen, wie sich aus Spülwasser und Reststoffen grüner Wasserstoff gewinnen lässt. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB koordiniert das Vorhaben an einem Industriestandort von Evonik.

Abfall und Abwasser sind weltweit eine bisher nur wenig genutzte Ressource. Mit dem Förderprogramm »Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling« will Baden-Württemberg dies ändern. Seit Oktober 2021 fördert das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit Landesmitteln und Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) den Aufbau modularer Bioraffinerien.

Eine der geförderten Demonstrationsanlagen ist die Bioraffinerie des Projekts SmartBioH2-BW, die am 3. August 2024 von Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium, eingeweiht wurde. »Wir brauchen dringend einen gesellschaftlichen Wandel – weg vom Einsatz fossiler oder knapper Ressourcen hin zur Nutzung biobasierter oder im Kreislauf geführter Stoffe. Das Projekt SmartBioH2-BW zeigt vorbildlich, wie ein solch zukunftsweisender Weg aussehen kann«, so Baumann.

Evonik erzeugt bisher Wasserstoffperoxid aus Erdgas

Seit ein paar Wochen steht die Anlage auf dem Gelände von Evonik in Rheinfelden, die als assoziierter Partner im Projekt beteiligt ist. An ihrem Standort in Südbaden produziert Evonik unter anderem Wasserstoffperoxid, das als Desinfektionsmittel – etwa für Joghurtbecher – zum Einsatz kommt. Hierfür wird, ebenso wie für andere Produktionsprozesse im Werk, Wasserstoff benötigt, den das Unternehmen seit Jahrzehnten direkt vor Ort aus Erdgas produziert.

Die Bioraffinerie besteht aus zwei gekoppelten Verfahrensmodulen zur biotechnologischen Produktion von Wasserstoff. Das sind der fermentativen Dunkelphotosynthese durch Purpurbakterien und ein zweistufiger Prozess mit Mikroalgen.

»Durch die intelligente Kopplung dieser beiden Verfahren zu einem kombinierten Bioraffinerie-Konzept wird es möglich, industrielle feste und flüssige Reststoffströme, die in der Produktion am Standort anfallen und bisher teuer als Abfall und Abwasser entsorgt werden mussten, effizient und ohne Emissionen als Rohstoffe zu nutzen, um daraus den Zukunftsenergieträger Wasserstoff und weitere wertschöpfende biobasierte Produkte herzustellen«, erläutert Dr.-Ing. Ursula Schließmann, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IGB und Koordinatorin des Projekts.

Zunächst galt es hierfür zu untersuchen, wie sich die Reststoffströme des Standorts genau zusammensetzen und ob die Organismen tatsächlich mit ihnen zurechtkommen. Als flüssige Reststoffströme fallen in Rheinfelden Spülwässer an. »Unsere Analysen haben gezeigt, dass das Spülwasser neben Ethanol weitere Alkohole sowie Reste der synthetisierten Produkte enthält. Diese beeinträchtigen aber weder das Wachstum der Purpurbakterien noch das der Mikroalgen«, so Schließmann.

Bakterien produzieren Wasserstoff ohne Licht

In der ersten Stufe der Bioraffinerie kommt das Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum zum Einsatz, das mittels der Dunkelphotosynthese, einer neuen Art der Fermentation, auch ohne Licht aus verschiedenen Kohlenstoffsubstraten Wasserstoff erzeugen kann. In Rheinfelden dient den Purpurbakterien Ethanol aus dem Spülwasser als Kohlenstoffsubstrat und Energiequelle.

Für ein ausreichendes Wachstum und die Synthese von Wasserstoff musste die Zusammensetzung des Fermentationsmediums angepasst werden, wie sich bereits im Labor in Stuttgart gezeigt hatte. Dann produziert das Bakterium nicht nur den begehrten Wasserstoff, sondern auch weitere nutzbare Produkte wie Carotinoide, fettlösliche Pigmente beispielsweise für die Kosmetik, oder den Biokunststoff Polyhydroxyalkanoat (PHA) – sowie Kohlenstoffdioxid (CO2) als Nebenprodukt. »Da die wasserstoffproduzierenden Enzyme der Purpurbakterien sehr sauerstoffempfindlich sind, ist die präzise Kontrolle des Sauerstoffgehalts bei der Fermentation eine Herausforderung im Betrieb«, ergänzt Dr.-Ing. Susanne Zibek, Leiterin der Bioprozessentwicklung am Fraunhofer IGB.

Mikroalgen verarbeiten CO2

Das CO2 geht in einem weiteren Schritt an die zu diesem Zweck angekoppelten Mikroalgenanlage. Denn die photosynthetisch wachsenden Mikroalgen benötigen für den Aufbau von Biomasse oder Speicherprodukten – genau wie grüne Pflanzen – CO2 und dazu nur Licht und Nährstoffe.

In der SmartBioH2-Demonstrationsanlage gedeihen Mikroalgen der Art Chlorella sorokiniana in einem mittels LED beleuchteten kompakten Photobioreaktor. Bei dem Verfahren produzieren die Mikroalgen aus dem anfallenden CO2 Stärke als nutzbares Produkt. Die benötigten Nährstoffe stammen dabei aus einem zweiten in Rheinfelden, diesmal in fester Form anfallenden Reststoffstrom: Ammoniumchlorid.

Auch Mikroalgen sind unter bestimmten Bedingungen in der Lage, Wasserstoff zu bilden. Sie spalten hierzu Wasser mithilfe von Lichtenergie in Wasserstoff und Sauerstoff. »Um den Prozess technisch nutzen zu können, muss der entstehende Sauerstoff auch hier kontinuierlich aus dem System entfernt werden, da er die Wasserstoffproduktion der Algenzellen hemmt«, erläutert Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Leiterin der Algenbiotechnologie am Fraunhofer IGB. »Ein gänzlich neuer Photobioreaktortyp wird in wenigen Wochen in die Bioraffinerie integriert, um die Gesamtausbeute an Biowasserstoff weiter zu erhöhen«.

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA beteiligt sich an dem Projekt mit der Erstellung eines Prozessmodells, das die wichtigsten Inputs und Outputs des gesamten Bioraffineriekonzepts vorhersagen kann. Das Modell bildet auch die Grundlage für die ökologische und ökonomische Bewertung der Bioraffinerie.

»Auf Basis der praktischen Erfahrungen können wir anschließend ermitteln, ob sich eine Anlage im industriellen Maßstab auch wirtschaftlich rentieren würde. Wichtig ist dabei, dass wir einen hohen Grad an Automatisierung vorgesehen haben, um die Ausbeute der Anlage zu verbessern«, so Schließmann. Aber auch die eingesparten Entsorgungs- und Transportkosten tragen zur Gesamtbilanz bei.

Quelle: Fraunhofer IPA | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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