Der große Bluff mit den THG-Quoten

Symbolbild für den Handel mit THG-Quoten: Der Begriff "Klimawandel" ist mit Scrable-Würfeln vor blauem Hintergrund gelegt. eine Hand dreht einen Buchstabenwürfel um, so dass daraus "Klimahandel" wird.Foto: Fokussiert, stock.adobe.com
Der Klimaschutz im Verkehr kommt kaum voran, auch weil das Quotensystem mit Treibhausgasminderungen in Deutschland anfällig für Betrug ist. Das zeigen Fälle von Projekten, die sich Emissionsgut­schrif­ten bei Gas- und Ölexplorationsvorkommen im Ausland erschlichen haben. Den Schaden hat neben dem Klima die heimische Branche der EE-Mobilität, die jetzt in einem Aktionsbündnis dagegen mobil macht.

Eine Karaoke-Bar bietet Besuchern viele Optionen: singen, tanzen oder einfach ein Getränk nehmen. Die Minderung von CO2-Emissionen zählt dagegen meist nicht zum Angebot. Anders bei einer solchen Einrichtung in Nordrhein-Westfalen, die beim Umweltbundesamt (UBA) Treibhausgasminderungen zur Erfüllung der Klimaschutzanforderungen im Straßenverkehr anmeldete. Und zwar durch die Senkung klimaschädlicher Methan-emissionen bei der Förderung von Erdöl. Die Absurdität fiel den Beamten offenbar nicht auf. Die Firma war jedenfalls im Register der beim UBA angesiedelten Deutschen Emissions­handelsstelle für sogenannte Up­stream-Emissionsminderungen (UER) ein­ge­tragen.

Das ist der vielleicht offensichtlichste Betrugsfall, den die Initiative Klimabetrug Stoppen (IKS) nach Antrag auf Akteneinsicht beim UBA auflistet. Er ist allerdings nicht der einzige, über den das Aktionsbündnis berichtet, das jetzt gegen den Klimabetrug mit Treibhausgas-Minderungsquoten (THG-Quoten) im Verkehr mobil macht.

Mineralölbranche profitiert von THG-Quoten-Tricks

Bei den UER handelt es sich um Projekte, bei denen Treibhausgasminderungen am Standort der Ölexploration erbracht werden. Dazu zählt das Auffangen von bei der Förderung freiwerdendem Methan, das sonst in die Atmosphäre entweichen würde. Eine solche Einsparung können sich diejenigen Unternehmen gutschreiben lassen, die in Deutsch­land Mineralölprodukte in den Verkehr bringen, also die Mineralölindustrie – Unternehmen wie BP, Shell und andere. Voraussetzung ist, dass es sich dabei um Vorhaben handelt, die neu geschaffen wurden und nicht bereits existierten. Sie müssen von externen Sachverständigen zertifiziert und vom UBA genehmigt werden.

Hintergrund ist, dass die Branche verpflichtet ist, die Treibhausgasbilanz der von ihnen vertriebenen Produkte zu mindern, und zwar durch den Einsatz von klimafreundlichen Kraftstoffen und Alternativen. Um wie viel, das schreiben die gesetzlichen THG-Quoten vor, die Jahr für Jahr steigen. Für 2024 liegt die Minderungsvorgabe bei 9,35 Prozent. 2030 sollen 25,1 Prozent erreicht sein. Vergleichswert ist die Treibhausgasbilanz fossiler Kraftstoffe – eine Art „Durchschnittstreibhausgasausstoß“ fossiler Otto- und Dieselkraftstoffe, wie der deutsche Zoll es beschreibt.

Um die Verpflichtung zu erfüllen, stehen den Inverkehrbringern klassische Biokraftstoffe wie Biodiesel aus Rapsöl, fortschrittliche Biokraftstoffe (aus Reststoffen), Biomethan, Wasserstoff und die Elektromobilität zur Verfügung, und seit 2020 eben auch die UER, die vor allem auf Bestreben der Mineralölindustrie durchgesetzt wurden. Die Obergrenze für UER-Projekte 2024: 12,8 Prozent der THG-Quote von 9,35 Prozent. Interessant dabei: Schon damals warnte die Biokraftstoffbranche vor einem möglichen Missbrauch.

Hühnerstall statt Methanaufbereitung

Insgesamt gibt es 69 vom UBA genehmigte UER-Projekte. Die meisten liegen auf dem Staatsgebiet Chinas. Nur eines davon sei unverdächtig, erklärt IKS-Sprecherin Sandra Rostek bei der Vorstellung der Initiative IKS. Dahinter stehen 40 Unternehmen und 10 Verbände. Dazu zählen wie BayWa, Envitec und Verbio vor allem Unternehmen aus der Bioenergie-Branche. Rostek zeigt Satellitenbilder von Orten, an deren GEO-Koordinaten sich eigentlich eine Industrieanlage zur Emissionsreduktion befinden müsste. Zu sehen ist aber lediglich karge Landschaft. Dann ein Hühnerstall statt einer Methanaufbereitung. In anderen Fällen seien die Antragsteller reine Briefkastenfirmen oder besagte Karaoke-Bar, oder aber die Projekte gebe es schon seit Jahren.

In einem Fall habe der Betreiber mittlerweile selbst eingeräumt, dass die Projekte in China nicht existieren. Und zwar die Rosneft Deutschland (RDG), die infolge der Russland-Sanktionen seit 2022 unter der Verwaltung der Bundesnetzagentur steht. So heißt es in einem internen Schreiben des Aufsicht führenden BMWK, das die Initiative Journalisten vorlegte: „Die unabhängige Prüfung hat ergeben, dass zwei Projekte an den ursprünglich angegebenen Koordinaten nicht existieren.“ Und weiter: „Zweifel hegt die Geschäftsleitung der RDG. Sie möchte die Zertifikate nicht nutzen.“ Es bestehe zudem das Risiko, dass das UBA „eine Rückabwicklung fordern könnte“.

Biodiesel aus Palmöl

Doch nicht nur bei den UER moniert das Bündnis massiven Betrug. Auch beim Import von fortschrittlichen Biokraftstoffen auf Basis von Reststoffen aus China liege kriminelles Handeln vor. „Statt Reststoffen wurde dort Palmöl zu Biodiesel verarbeitet, aber als fortschrittlich deklariert“, sagt Co-Sprecher Stefan Schreiber. Zwar habe die EU mittlerweile Strafzölle gegen solche Chinaimporte verhängt. Doch nur wenn die Importe ein nationales Zulassungsverfahren durchlaufen würden, bei denen Herkunft und Produktion zweifelsfrei nachgewiesen werden könnten, lasse sich der falsche Biodiesel wirksam aus dem heimischen Verkehr ziehen. „Eine solche Praxis gibt es in Frankreich und Belgien bereits“, so Schreiber, der das auch für Deutschland fordert.

Dem Klimaschutz ist nach Berechnungen der IKS ein Schaden von knapp neun Millionen Tonnen CO2 entstanden, und zwar dadurch, dass die Minderungen ja nicht real erzielt, sondern vorgetäuscht wurden. „Wir wollen deshalb den versäumten Klimaschutz nachholen“, sagt Rostek. Und zwar, indem diese neun Millionen Tonnen an Einsparungen auf die Folgejahre verteilt werden. Damit würden die UER-Vorhaben quasi im Nachhinein für illegal erklärt. Eine Alternative sei, die Branche finanziell zu entschädigen.

THG-Betrug ist schwere Umweltkriminalität

Das Umweltministerium (BMUV) gibt sich dazu reserviert, auch wenn die grüne Ministerin Steffi Lemke im Juli gegenüber dem Deutschen Bundestag einräumte, es handele sich beim UER-Betrug in China um „schwere Umweltkriminalität“. Seit 1. Juli hat sie die Neuanmeldung von UER-Projekten ausgesetzt. Und das UBA hat Ende August acht vor dem 1. Juli zur Genehmigung angemeldeten UER-Projekten die Zulassung wegen „ermittelter Unregelmäßigkeiten“ versagt.

Ab 2025 soll die UER-Option zur Erfüllung der THG-Quote definitiv enden – zwei Jahre früher als ursprünglich vorgesehen. Man habe „mit dem Ende des Anrechnungssystems möglichem Klimabetrug einen Riegel vorgeschoben“, schreibt das BMUV auf der Webseite.

Dabei will es die IKS nicht bewenden lassen. Der wirtschaftliche Schaden für die Branche wiege schwer und gehe in die Milliarden Euro. Beispiele sind etwa die Insolvenzen der Biomethananbieter BMP Greengas und Landwärme. Das BMUV wiegelt ab: „Die teilweise in diesem Zusammenhang genannten Milliardensummen sind unzutreffend. (…) Die Verwendung dieser Zahlen ist fachlich falsch und irreführend.“

Welche dann gelten, sagt das BMUV nicht, das von sich behauptet, schnell reagiert zu haben. Doch überall dort, wo fingierte UER-Projekte und falsch deklarierte Kraftstoffe angerechnet wurden, kamen heimische Produzenten nicht zum Zuge. Und dort, wo sie ihre Produkte verkaufen konnten, litten sie unter dem massiven Preisverfall für die THG-Quoten. Der sei durch das Überangebot an Fake-Projekten und falsch deklariertem Biodiesel ausgelöst worden, so die IKS.

Preisverfall bei Emissionsrechten

Wurden pro Tonne CO2 Ende 2022 noch 400 Euro bezahlt, liegt der Preis mittlerweile bei nur noch 100 Euro. Diesen Wert erhalten die Alternativen für jede Tonne CO2, die sie einsparen, von den Mineralölkonzernen. Das spüren zum Beispiel auch die Fahrer von Elektroautos und entsprechende Flottenbetreiber. Durch den Preisverfall hat sich der finanzielle Anreiz zum Kauf eines batterieelektrischen Fahrzeugs erheblich vermindert, wie Co-Sprecher Marc Schubert vorrechnet: „Statt 400 Euro im Jahr 2022 erhält ein E-Auto-Fahrer heute nur noch circa 80 Euro Prämie. Oder für Stadtwerke: Für einen E-Bus gab es mal 16.000 Euro und jetzt gibt es nur noch maximal 3.000 Euro. Dafür schafft sich niemand mehr ein E-Fahrzeug an.“

Immerhin sieht die Branche für die Zukunft Licht am Horizont. Denn die Kapazitäten an Biokraftstoffen seien in Europa vorhanden, um ab 2025 den Wegfall der UER-Option zu kompensieren, sagte Co-Sprecher und Verbio-Vorstand Schreiber. Ob die gebeutelten Unternehmen aber langfristig noch in der Lage seien, in die Zukunft zu investieren, ließ er offen.

Mittlerweile ermittelt nach Strafanzeige des UBA auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Und zwar laut Pressemitteilung „gegen 17 Personen wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges. Bei den Beschuldigten handelt es sich um die Geschäftsführer bzw. Mitarbeitende von Prüfstellen, die an der Verifizierung von UER-Projekten beteiligt gewesen sein sollen.“

Es bestehe der Anfangsverdacht, die Mitarbeitenden beim Umweltbundesamt hinsichtlich verschiedener Klimaschutzprojekte getäuscht und so einen Millionenschaden verursacht zu haben. Ob sich darunter auch die Karaoke-Bar in NRW befindet, teilte die Staatsanwaltschaft nicht mit.

Autor: Oliver Ristau | © Solarthemen Media GmbH

Schließen