Jörg Lange (KiB): Wir brauchen lokale Strompreissignale

Jörg Lange, ein Mann im "besten Alter" stützt sich auf ein Balkongeländer, an dem ein Photovoltaikmodul als Balkonkraftwerk befestigt ist.Foto: Jörg Dengler
Dr. Jörg Lange plädiert im Solarthemen-Interview für neue, regionalere Ansätze für den Strommarkt. Der Biologe ist sei Januar 2023 wissenschaftlicher Referent des Vereins Klimaschutz im Bundestag (KiB). Zuvor war er seit den 1990er-Jahren im Bereich des ökologischen und solaren Bauens sowie Planens tätig. Zusammen mit anderen Verbänden, Unternehmen und Energieexperten hat er jetzt einen Bericht unter anderem zum Aspekt der Regionalität in Strommärkten erarbeitet.

Jörg Lange: Am Beginn unserer Überlegungen stand zunächst nur, wie die Praktiker darauf reagieren. Das Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG, war wie ein Paradigmenwechsel. Ausgangspunkt dafür war letztlich das Scheitern der energetischen Sanierung. Inzwischen ist die Sanierungsrate auf 0,7 Prozent gesunken. Damit würde es mehr als 100 Jahre dauern, bis alle Gebäude treibhausgasneutral sind. Deshalb hat eine ganze Reihe von Institutionen erklärt, die Wärmepumpe und die Elektrifizierung der Wärmeversorgung müssten eine größere Rolle spielen. Daher schaut das GEG jetzt nicht mehr auf den Primärenergiefaktor, sondern auf den Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung eines Gebäudes. Und natürlich ist der 65-Prozent-Anteil zugeschnitten auf die Wärmepumpe.

Wir sind aber schon länger der Meinung, dass das das falsche Bewertungskriterium ist, weil doch eigentlich die Höhe der Treibhausgasemissionen entscheidend sein sollte. Und nun wollten wir wissen, wie die Experten vor Ort, also etwa die Energieberater, diese Frage beurteilen. Aus diesem Ansatz ist aber deutlich mehr geworden. Wir haben gemeinsam mit diesen Experten den Eindruck gewonnen, dass vieles noch nicht so richtig zusammenpasst.

Im GEG wird zum Beispiel nicht die Frage beantwortet, woher der Strom für die Wärmepumpe kommen soll. Und auch im Wärmeplanungsgesetz, dem WPG, ist das nicht der Fall. In der aktuellen, gültigen Fassung des Gesetzes ist nicht mehr enthalten, dass Daten zum Strom erhoben werden. Und jetzt stellt selbst der Leitfaden zur kommunalen Wärmeplanung, den das Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende des Bundes erstellt hat, fest, dass das vielleicht ein Fehler war. Für uns war das jedenfalls der Ausgangspunkt, um uns auch mit Residuallasten zu befassen, also dem Strom, der nicht von den volatilen Wind- und Solarkraftwerken erzeugt wird. Und dabei ist wichtig, zwischen Verbrauchsschwankungen an einem Tag und über mehrere Tage hinweg zu unterscheiden. Diese Problematik haben wir versucht in unserem Bericht zu skizzieren. In diesem Zusammenhang ist uns dann auch aufgefallen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung im GEG fehlt. Nur in der Begründung zum Gesetz wird sie an einer Stelle erwähnt.

Bei der Bundesregierung herrscht offensichtlich die Vorstellung, die KWK sei eine Technologie. Dabei ist sie zunächst ein physikalisches Prinzip. Mittels KWK werden Strom und Wärme erzeugt und damit immer schon diese beiden Sektoren gekoppelt. Gerade bei größeren Gebäuden, bei Gebäudenetzen und in Industriebetrieben ist für uns die Kombination aus Photovoltaik, Wärmepumpen und KWK-Anlagen eine sehr effiziente, kostengünstige und flexible Lösung, um bei fehlendem Solar- und Windstrom die Frage nach dem Reststrom mit möglichst wenig Treibhausgasen zu beantworten. Im Gegensatz zu anderen Technologien müsste man laut GEG für den Einsatz der KWK einen speziellen Nachweis führen, um den 65-Prozent-EE-Anteil zu belegen. Dafür fehlen aber noch die Verfahren. Das hinterlässt bei uns den Eindruck, dass die dezentrale KWK politisch nicht mehr gewünscht ist. Es hat uns auch darin bestärkt, im GEG die Treibhausgasemissionen als Maßstab zu fordern.

Anders herum wird ein Schuh draus. Was ist denn im Moment geplant? Mit dem Kraftwerkssicherheitsgesetz sollen große Reservekraftwerke gebaut werden, die zunächst auch nur mit Erdgas funktionieren. Sie sind also auch nicht zu 65 Prozent erneuerbar. Erst später soll in ihnen Wasserstoff eingesetzt werden. Diese Kraftwerke werden ausgeschrieben und vermutlich an alten Kraftwerksstandorten errichtet. Diese Strategie halten wir für falsch, weil dann das Prinzip der KWK vielfach nicht nutzbar ist.

Wenn man aber die Wärme vor Ort nicht nutzt, die immer in diesen Residuallastkraftwerken in großen Mengen anfällt, braucht man insgesamt mehr Brennstoff und mehr Stromleitungen. Das Ziel kann ja am Ende auch nicht sein, bei den Gebäuden mit Wärmepumpen nur auf einen angenommenen 65-Prozent-Anteil zu kommen. Am Ende sollen doch auch 100 Prozent erneuerbar sein. Das kann man auch mit den großen Kraftwerken und viel Wasserstoff erreichen. Aber das kostet wesentlich mehr teuren erneuerbar erzeugten Brennstoff als eine Strategie, die die KWK auf regionaler Ebene flexibel immer dann nutzt, wenn Wind und Sonne nicht ausreichen.

Beim Strommarkt ist falsch, dass er die erneuerbaren Energien über den Grenzkostenmarkt finanziert. Das führt automatisch zu höheren Kosten. Um Photovoltaik, Windenergie und KWK besser miteinander ausregeln zu können – und das muss auf regionaler Ebene erfolgen–, braucht es lokale Signale. Die müssen Informationen zur Belastungssituation des Verteilnetzes enthalten. Und die zweite erforderliche Information ist die, welche Residuallastkraftwerke in der Region verfügbar sind. Auf dieser Basis kann man netz- und systemdienlich die Anlagen fahren. Mit einem einheitlichen Spotmarktpreis, dem einzigen Signal, das es derzeit gibt, kann man das nicht.

Da sagen wir, das stimmt nicht. Es gibt zum Beispiel den Grünstromindex. Der zeigt schon heute, wie hoch die Residuallast und damit die Emissionen in meiner Region sind. Es gibt auch schon Techniken und Verfahren, die noch dazu kostengünstiger sind als der Rollout der Smart Meter. Man braucht prioritär einen Anreiz über ein Preissignal, damit sich die Verbraucher:innen daran ausrichten können.

Wir brauchen moderne Messeinrichtungen, die zeitlich hoch aufgelöste Informationen liefern, das ist klar. Für uns ist zentral, dass es ein lokales Preissignal gibt und das jeweilige Energiemanagementsystem autonom darauf reagieren kann. Aber dieses lokale Signal hat bislang bei den Überlegungen zum Strommarkt der Zukunft seitens der Regierung noch keine Priorität. Die Folge ist, dass viele auf Eigenverbrauch hin optimieren. Kleine Hausspeichersysteme zum Beispiel boomen. Das ist nicht netz- und systemdienlich und führt darüber hinaus dazu, dass die Netzkosten auf immer weniger Kilowattstunden umgelegt werden.

Die meisten Energieversorger werden ab dem 1. Januar 2025 ihre dynamischen Tarife allein am Spotmarktpreis ausrichten. Und das ist für eine kostensparende und emissionsarme Ausregelung von Verbrauch und Erzeugung vor Ort das komplett falsche Signal. Denn in den regionalen Netzen sieht es doch ganz anders aus als am Spotmarkt. Ein Blick auf die tägliche Wetterkarte hilft. Wenn im Nordosten der Wind weht und die Sonne scheint, sind die Spotmarktpreise in der Regel zwar niedrig. Aber dieses Signal sagt gar nichts darüber, wie die Situation im Süden ist. Stattdessen bräuchten wir ein regionales Signal. Es ergibt mehr Sinn, etwa den Akku im Auto zu laden, wenn bei mir in der Region die Sonne scheint oder der Wind weht. Das geht aber nur, wenn die Flexibilität in den Verteilnetzen angereizt wird.

Den weitestgehenden Vorschlag, den wir im Gespräch mit Experten einleuchtend fanden, war ein Echtzeit- beziehungsweise sekündliches Signal des Unternehmens Easy Smart Grid. Dessen Funktionsweise konnte bereits in einer Siedlung in Allensbach am Bodensee demonstriert werden. Das könnte man überall ausrollen. Am Ende werden sekündliche lokale Signale notwendig sein, um überschießende Reaktionen in eine Richtung zu verhindern. Und ein bereits heute für viele nutzbares stündliches Signal bietet zum Beispiel der Grünstromindex. Das ist über eine Schnittstelle je Postleitzahl für die nächsten 72 Stunden abrufbar. Damit lassen sich Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen bereits heute systemdienlich betreiben. Das macht derzeit zwar fast niemand, weil es sich betriebswirtschaftlich nicht begründen lässt. Aber das könnte auch in der Breite funktionieren.

Daher ist nicht zu verstehen, warum man jetzt ein vergleichsweise sehr kompliziertes System mit Zertifikaten wie den kombinierten Kapazitätsmarkt angehen möchte. Das wird den Strom noch teurer machen. Und irgendwann wird das kollabieren. Denn wenn die Stromkosten über einen bestimmten Grenzpreis steigen, dann werden sich die, die dazu in der Lage sind, unabhängig machen und komplett auf den Netzanschluss verzichten. Und das wäre dann ein fatales Signal.

Interview: Andreas Witt | © Solarthemen Media GmbH

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