Stromnetzentgelte sind künftig ohne Bundestag und Regierung zu regeln
Es war schon im September 2021, als der Europäische Gerichtshof feststellte (Entscheidung C-718/18), dass die nationalen Parlamente bei der Regulation der Stromnetzentgelte nichts zu sagen haben. Das europäische Recht sehe vor, dass lediglich die nationalen Regulierungsbehörden dafür zuständig seien. In Deutschland ist das die Bundesnetzagentur (BNetzA). Und sie muss sich unmittelbar an EU-Recht halten.
Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes
Nachvollzogen hat der deutsche Bundestag dies mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) vom 28. Dezember 2023. Es hat entsprechende Kompetenzen an die BNetzA übertragen. Dabei gibt es offenbar eine Übergangsphase. So laufen die deutsche Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) und die Anreizregulierungsverordnung (ARegV) nach Angaben der Stiftung Umweltenergierecht erst zum 31. Dezember 2028 aus. Doch, so die Stiftung: Neuregelungen sind (auch nur punktuell) schon früher möglich.
Bundesnetzagentur bestimmt über Regeln für die Stromnetzentgelte
Schon in den kommenden Jahren ist also zu erwarten, dass die BNetzA diese Funktion – ohne direkten Einfluss von Parlament und Regierung – ausfüllt, um Stromnetzentgelte zu regulieren. Damit gewinnt sie zugleich einen größeren Einfluss auf die Rahmenbedingungen für den Ausbau und den Betrieb erneuerbarer Energien. Und die Agentur war auch bereits tätig. So hat sie am 27. November 2023 Festlegungen zu § 14a EnWG, also zu steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen, Speicher und Wallboxen getroffen. Und am 28. August 2024 beschloss die BNetzA Regeln „zur fairen Verteilung von Netzkosten aus der Integration erneuerbarer Energien“ (BK8-24-001-A). Demnach können Netzbetreiber mit einem besonders hohen Maß en erneuerbaren Energien in ihrem Netz einen Ausgleich erhalten.
Solche Beschlüsse wirken sich auf die Stromnetzentgelte aus und damit auf die Strompreise. Außerdem arbeitet die BNetzA gerade an Regeln, wie die Ausgangsbasis von Gas- und Stromnetzen zu ermitteln sein soll. Davon wird künftig abhängen, welche kalkulatorischen Kosten Netzbetreiber bei den Netzentgelten berücksichtigen können.
EU-Recht maßgeblich für Umlage der Netzkosten
Und maßgeblich für die neuen Regeln ist nach Aussage der Stiftung Umweltenergierecht das europäische Recht. Besonders wichtig sind dabei:
– die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (EU) 2019/944 (EBM-RL),
– die Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung(EU)2019/943(EBM-VO) und
– die Energieeffizienzrichtlinie (EU) 2023/1791
– sowie außerdem eine Reihe anderer Richtlinien und Verordnungen. Diese sind von der BNetzA ebenfalls zu berücksichtigen.
Wie Tobias Klarmann von der Stiftung Umweltenergierecht erklärt, ist dieser Rechtsrahmen durchaus etwas unübersichtlich und ungeordnet. Aber er bilde einen einheitlichen Rahmen. Auch um diese rechtlichen Grundlagen besser systematisieren zu können, hat die Stiftung ihre Studie vorgelegt. Sie befasst sich mit dem Stromnetzentgeltniveau, also der Frage, welche Netzkosten anzuerkennen sind, und der Entgeltstruktur.
Vier Tarifgrundsätze für Entgeltstruktur
Bei der Entgeltstruktur sind laut Stiftung vier Tarifgrundsätze wichtig:
1. Kostenorientierung
2. Diskrimierungsverbot
3. Transparenz
4. Effizienz
Sie befinden sich auf derselben Hirarchieebene, keine ist aus rechtlicher Perspektive also wichtiger als die andere. Abweichungen von den Grundsätzen sind möglich, wenn es eine gute Begründung gibt, das heißt, wenn ein legitimes Regulierungsziel damit zu erreichen ist. Dies gilt auch für den Umwelt- und Klimaschutz. „Das ist eindeutig ein Rechtfertigungsgrund“, so Klarmann. Er sei jetzt explizit enthalten. Und dies betrifft insbesondere die Integration erneuerbarer Energien. Es seien allerdings auch soziale Tarifstrukturen laut EU-Recht möglich.
Keine Förderung von Industriestrom über Stromnetzentgelte?
Wo sich der neue Rahmen von der bisherigen Situation in Deutschland unterscheiden könne, machte die Stiftung am Beispiel von Industriestromprivilegien deutlich. Derzeit erhalten Betriebe mit einem durchgehend gleichen Stromverbrauch, einer Bandstromlieferung, laut StromNEV günstigere Stromnetzengelte. Doch dies, so die Stiftung Umweltenergierecht, spiegele die Netzkosten nicht wieder – insbesondere bei einer zunehmend volatilen Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien. Gemessen an den EU-Rechtsgrundlagen sei diese Privilegierung kaum noch zu rechtfertigen. Im Gegenteil würden sogar Negativanreize gesetzt. Außerdem sei die Förderung über niedrige Netzentgelte nicht verhältnismäßig. Klarmann betont, die Stiftung spreche sich damit nicht gegen eine Industrieförderung aus. Der Bund müsse sie dann aber auf einem anderen Weg erreichen.
Netzkosten für Einspeisung berechnen?
Johannes Hilpert, ebenfalls ein Experte der Stiftung Umweltenergierecht, macht noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam. Das EU-Recht betrachte bei den Netzentgelten nicht nur die Ausspeisung, also das Beziehen von Strom, sondern auch die Einspeisung. Das sei in Deutschland bislang kein Thema. Dabei sei die Nutzung von Netzen durch die Stromproduzenten mindestens ebenso relevant wie die durch die Verbraucher.
Als ein Fazit ist aus Sicht der Stiftung auf Basis ihrer Studie festzuhalten, dass der bestehende EU-Rechtsrahmen zu unübersichtlich ist und grundlegend reformiert werden sollte. Zwar habe mit der EU-Strombinnenmarktreform der „Umwelt- und Klimaschutz als Regulierungsziel explizit Eingang in die EU-Netzentgeltsystematik gefunden“. Mehr – ungeordnete – Zielvorgaben würden jedoch nicht gerade helfen. Sondern sie drohten die Netzentgeltstruktur zu überladen und die einzelnen Steuerungseffekte zu nivellieren.
Autor: Andreas Witt | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH