Finanzielle Beteiligung von Kommunen: Wie kalkulierbar sind Wind- und Solareuros?
Manchmal ist Thomas Wellenbeck, parteiloser Bürgermeister der vorpommerschen 700-Einwohner-Gemeinde Sarow, richtig sauer. Er weiß dann nicht mal so genau, gegen wen sich sein Ärger richten soll: ob gegen Windkraftprojektierer aus westdeutschen Großstädten, ob gegen örtliche Landbesitzer, die die Energiewende als ihre persönliche Goldgrube betrachten, oder ob gegen Politiker, die weit weg in Schwerin und Berlin Gesetze machen, die zwar Gemeinden wie Sarow zugute kommen sollen, aber kaum Spielräume für kommunale Entscheidungen lassen. Dabei geht es um Mitbestimmung bei Erneuerbare-Energien-Projekten. auf kommunalen Flächen und auch die finanzielle Beteiligung von Kommunen an den Projekten.
Kommunen wollen Solar- und Windenergie voranbringen
Wellenbeck, der dieses Jahr neu in sein Ehrenamt gewählt wurde, nimmt Klimaschutz wichtig. Er will einen Beitrag leisten und weiß, dass die wind- und sonnenreiche Region im Osten Mecklenburg-Vorpommerns beste Voraussetzungen bietet, um erneuerbare Energien zu ernten. Aber er erlebt auch, dass es nicht einfach ist, dies mit den Interessen der Menschen in Einklang zu bringen. „Wir haben oft das Gefühl, dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wird“, sagt Wellenbeck.
Akut wurde dieses Gefühl in der Gemeinde, als Anfang des Jahres der regionale Planungsverband Landkarten als Vorentwurf präsentierte. Auf denen waren rote Flächen eingezeichnet, die künftig als Gebiete für die Windkraft ausgewiesen werden könnten. Denn die Region muss wie alle anderen ihren Beitrag leisten, damit in Deutschland bis 2032 mindestens 2 Prozent des Landes für die Windenergie zur Verfügung stehen. Dass aber auf der Karte des Planungsverbandes gleich mehr als 12 Prozent des Sarower Gebietes rot gekennzeichnet waren, während insgesamt für Mecklenburg-Vorpommern nur 2,1 Prozent gesetzlich vorgegeben sind, sehen viele Sarower nicht ein. Auf einer hitzigen Bürgerversammlung machte das Wort von der Umzingelungswirkung die Runde – neben anderen, weniger kultivierten Redewendungen.
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Windgebiete als rotes Tuch
Zwar verstand sich die Landkarte des Planungsverbandes nur als Vorentwurf, aber die großen roten Flächen darauf wirkten auf viele in den als besonders windkraft-geeignet gekennzeichneten Gemeinden wie ein rotes Tuch.
Eigentlich gibt es in Mecklenburg-Vorpommern schon seit 2016 ein Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz, das helfen soll, ein notwendiges Maß an Windkraftausbau einvernehmlich zu organisieren. Aus Betroffenen soll es Beteiligte machen und so für mehr Akzeptanz sorgen. Das Land hat mit diesem Gesetz eine bundesweite Vorreiterrolle übernommen. Konkret verpflichtet es Windkraftprojektierer, den Kommunen und Bürgern in jeweils fünf Kilometern Umkreis um die Anlagen ein Beteiligungsangebot in Höhe von insgesamt mindestens 20 Prozent an der Betreibergesellschaft zu unterbreiten. So will das Land auch eine finanzielle Beteiligung der Kommunen an solchen Projekten ermöglichen.
Doch das Gesetz konnte seine Wirkung nie vollständig entfalten. Sei es, weil nach seinem Inkrafttreten jahrelang nur noch wenige Windkraftanlagen in Mecklenburg-Vorpommern eine rechtskräftige Baugenehmigung erhielten, oder sei es, weil die Landespolitik selbst das Beteiligungsgesetz teilweise aushebelte. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 können sich Projektierer nämlich vor dem Angebot einer echten, gesellschaftsrechtlichen Beteiligung der Bürger:innen und Gemeinden drücken, indem sie beim Land eine Ausnahmegenehmigung beantragen: Sofern sie sich verpflichten, an die umliegenden Kommunen freiwillig eine finanzielle Beteiligung von 0,2 Cent je Kilowattstunde zu leisten, wie es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Bundes zwischenzeitlich ermöglicht hat, kann das zuständige Ministerium in Schwerin sie von den normalen Pflichten des Beteiligungsgesetzes entbinden. Die Ausnahme ist seitdem zur Regel geworden und zwar, ohne dass die Kommunen jeweils gefragt werden.
Falsche Versprechungen
Als die 10 Windturbinen, die sich heute bereits auf dem Gebiet der Gemeinde Sarow drehen, vor mehr als 12 Jahren gebaut wurden, gab es noch kein Beteiligungsgesetz des Landes. Und auch die 0,2-Cent-Regel im EEG für eine finanzielle Beteiligung von Kommunen war damals noch nicht in Sicht. Dennoch wurden der Kommune Versprechungen gemacht, sie werde von den Rotoren profitieren, sobald der Windpark die Gewinnzone erreiche, sodass die Gewerbesteuer als Geldquelle ins Sprudeln komme. Doch wie bei vielen anderen Abschreibungsmodellen, verdient dieser Windpark auf dem Papier offenbar noch immer kein Geld. „In der Gemeindekasse ist jedenfalls bislang noch kein Pfennig Gewerbesteuer angekommen“, berichtet Bürgermeister Wellenbeck, dessen Kommune wie die meisten anderen in der strukturschwachen Region jeden Euro dreimal umdrehen muss.
Ein Lichtblick für finanzielle Beteiligung von Kommunen
Doch es gibt einen Lichtblick: Der in München ansässige Windparkbetreiber hat sich jetzt auf die seit Anfang 2023 bestehende Möglichkeit eingelassen, Sarow und drei weitere umliegende Gemeinden nach § 6 des EEG freiwillig mit einer Zuwendung in Höhe von zusammen 0,2 Cent je Kilowattstunde an den Stromerlösen des in die Jahre gekommenen Windparks zu beteiligen. Das Geschäft ist für das Unternehmen und seine Investoren kostenneutral. Denn im Rahmen des EEG bekommt er die Auslagen an die Gemeinde über die EEG-Umlage vom Steuerzahler erstattet. Zudem haben die juristischen Berater der Betreibergesellschaft allerlei Klauseln in den Vertrag geschrieben, die im Fall der Fälle verhindern, dass die Windparkbetreiber womöglich für ihre gute Tat doch noch teilweise aus eigener Tasche bezahlen müssten.
Wenn zum Beispiel der Windpark bei höheren Strompreisen aus dem EEG-Vergütungssystem ausstiege, dann könnte er sich freiwillige Zahlungen an die Kommune nicht mehr rückerstatten lassen. Das könnte für die Betreiber opportun sein, sobald sie eine Chance sehen, ihren Strom zu besseren Konditionen an potente Abnehmer direkt zu vermarkten. Dann aber endet der Vertrag mit den Kommunen automatisch und diese stünden sofort wieder mit leeren Händen da. Ob dieser Fall jemals eintreten wird, steht zwar in den Sternen. Aber dass die Kommunen gerade dann leer ausgingen, wenn der Betreiber deutlich mehr als die einst kalkulierten EEG-Erlöse erzielen würde, trägt nicht zur Vertrauensbildung vor Ort bei.
Vertragsklauseln für die finanzielle Beteiligung von Kommunen
Und es gibt noch einige weitere aus kommunaler Sicht kritische Klauseln in dem Vertrag. So wird der Betreiber auch dann nichts zahlen, wenn sich die Windräder in Sarow unter den staunenden Augen der Bevölkerung trotz frischer Brise nicht drehen, weil der Netzbetreiber die Anlagen abregelt. Die Windmüller bekommen dann zwar eine Entschädigung, aber ob eine Kommunalbeteiligung an den sogenannten fiktiven Strommengen rückerstattungsfähig wäre, darüber scheiden sich in der juristischen Fachwelt die Geister.
Die Fachagentur Wind- und Solarenergie an Land (FA Wind und Solar) empfiehlt zwar in ihrem Mustervertrag für die Kommunalbeteiligung nach § 6 EEG, diese fiktiven Strommengen in die Zahlungen an die Kommunen einzubeziehen. Aber das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hat jüngst einen Referentenentwurf vorgelegt, der die Gesetzeslücke zu Ungunsten der Kommunen schließen würde, indem es die Erstattungsfähigkeit der 0,2 Cent/kWh für fiktive Strommengen ausschließen würde. Frank Sondershaus von der FA Wind und Solar hält das für keine gute Idee, da es die Berechenbarkeit der Zahlungen für die Kommunen deutlich mindern würde.
Verhandlungschance
Für den Vertrag zwischen dem externen Windparkbetreiber und der Gemeinde Sarow kommen diese Pläne aber ohnehin zu spät. Da es sich um eine freiwillige Zuwendung der Windfirma an die Gemeinde handelt, sahen Bürgermeister und Gemeinderat keinerlei Verhandlungsspielraum. Nach dem Motto, „lieber ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach“ haben sie den Vertrag unterschrieben. Auch deshalb, weil sonst eine Frist für die erste der jährlichen Abschlagszahlungen zu verstreichen drohte.
Einerseits freue er sich über die nunmehr konkrete Aussicht auf jährlich fünfstellige Beträge, die der Kommune zusätzlich zur Verfügung stünden, sagt Bürgermeister Wellenbeck. „Aber für mich ist auch klar, dass wir mit diesem Geld unter diesen Umständen nicht seriös kalkulieren können. In unserer Haushaltsplanung können wir es nicht berücksichtigen, schon gar nicht für mehrjährige Projekte. Darüber sind wir uns im Gemeinderat einig.“
Viel spannender als die Zahlungen für die Bestandsanlagen ist aber aus Sarower Sicht, wie Kommunen und Bürger von den absehbar vielen und weitaus größeren Turbinen finanziell profitieren können, die voraussichtlich rund um die Dörfer entstehen werden.
Erste Investoren
Der erste Investor ist bereits vorstellig geworden. Und der hat laut Wellenbeck auch schon deutlich gemacht, dass er über etwas anderes als die für neue Windprojekte obligatorische 0,2-Cent-Beteiligung nicht mit sich reden lassen will. Auf der anderen Seite ist die Kommune trotz des Gemeindebeteiligungsgesetzes gegenüber dem Investor nicht in einer Verhandlungsposition auf Augenhöhe. Im Gegenteil sind Amtsträger:innen und Gemeindevertreter:innen nicht befugt, Forderungen zu stellen und damit ihr Wohlverhalten zu verknüpfen. Sie würden sich andernfalls der Vorteilsnahme im Amt oder gar der Bestechlichkeit schuldig machen – auch wenn sie sich nicht für ihren eigenen Vorteil, sondern für den der Gemeinde einsetzen würden.
Beseitigt würde dieses Dilemma nur, wenn der Gesetzgeber die Kommunalbeteiligung verpflichtend machen würde. Doch die Bundesregierung sieht dafür aus Verfassungsgründen keine eigene Gesetzgebungsbefugnis. Darum handelt eine zunehmenden Zahl von Bundesländern inzwischen mittels Landesgesetzen. In einigen werden pauschale Abgaben festgelegt, in anderen sind Kommunen und Investoren ausdrücklich aufgefordert, innerhalb gewisser Standards eine geeignete Form der Zuwendung oder Beteiligung auszuhandeln.
Nur in wenigen Ländern, beispielsweise in Niedersachsen, gilt diese Pflicht neben Wind- auch für Solarparks. Bei Photovoltaik haben die Kommunen zwar die volle Entscheidungshoheit. Denn nur mit Ausnahme einiger Anlagen an Bahnstrecken und Autobahnen ist vor dem Bau einer Freiflächenanlage in der Regel ein Bebauungsplan aufzustellen. Doch so frei die Gemeinde in der Entscheidung für oder gegen einen Solarpark ist, so wenig darf sie den Beschluss darüber von finanziellen Zuwendungen abhängig machen.
Auf den Zeitpunkt kommt es an
Deshalb definiert § 6 EEG sehr genau den Zeitpunkt, wann es bei einem Solarpark zum Vertragsschluss zwischen Kommune und Investor kommen darf: Frühestens nach dem Beschluss über den Bebauungsplan, allerdings bereits vor dem immissionsrechtlichen Genehmigungsverfahren.
Doch wer gibt der Kommune Sicherheit, dass der Projektierer eine vorherige Zusage nicht zurückzieht, sobald der Bebauungsplan steht? Dafür kennen Juristen durchaus bewährte Wege. So kann der Investor der Kommune freiwillig bereits vor der Aufstellung eines Bebauungsplans eine sogenannte bindende Offerte mit allen Vertragsdetails machen, von der er nicht ohne definierten Grund zurücktreten kann. Fordern freilich darf die Kommune eine solche Offerte nicht, allenfalls anregen.
Autor: Guido Bröer | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH
Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 10/2024 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!