Kläranlagen als Wärmequellen

Blick auf oben auf eine Kläranlage und damit auf eine potenzielle WärmequelleFoto: Thomas Leiss / stock.adobe.com
Wohl fast alle Kläranlagen bieten das Potenzial, als Wärmequelle nutzbar gemacht zu werden.
Kläranlagen arbeiten mit dem wertvollen Rohstoff Abwasser, der bisher weitgehend ungenutzt blieb. Das ändert sich: Mehr und mehr Stadtwerke bauen ihre Kläranlagen zu Energieparks um. Sie nutzen die Kläranlagen als Wärmequellen. Auch für die Solarenergie gibt es viele Optionen.

Dass ein Klärwerk mehr kann als Abwasser zu reinigen, lässt sich in Lemgo schon seit einigen Jahren beobachten. Die 43.000-Einwohner-Stadt im nordrhein-westfälischen Kreis Lippe zählt zu den Pionieren auf dem Weg, Kläranlagen in Wärmequellen zu verwandeln. Die örtlichen Stadtwerke Lemgo sind in Deutschland die vermutlich ers­ten, die Wärme aus dem gereinigten Ab­wasser am Ablauf des Klärwerks auffangen und für die Fernwärme nutzen. Das war bis dato technisches Neuland, das die Stadtwerke mit der Installation einer großen Solarthermieanlage weiter besiedeln. Seitdem stammen 20 Pro­zent der Fernwärme für die Stadt aus grünen Quellen am Standort der Kläranlage.

Das Beispiel macht Schule. Etwa in Tübingen, wo die kommunalen Stadtwerke mithilfe einer Großwärmepumpe aus den städtischen Abwässern künftig bis zu 95 Gigawattstunden (GWh) für die Wärmeversorgung gewinnen wollen.
Vorausgegangen war dem eine Studie des regionalen DWA-Landesverbandes, des ifeu Instituts und der IBS Ingenieurgesellschaft. Darin untersuchten sie im Auftrag des Umweltministeriums von Baden-Württemberg die Abwässer als potenzielle Quelle für die kom­mu­nale Wärmewende. Die Forschen­den ermittelten ein technisch-wirt­schaft­liches Potenzial für das Bundes­land von rund jährlich 3,7 Tera­watt­stunden (TWh) bei einer Leistung von 540 Megawatt (MW). Da­mit ließen sich 4,3 Prozent des Nutzwärmebedarfs von Bestandsgebäuden im „Ländle“ aus Kläranlagen als Wärmequellen decken, zeigt der Abschlussbericht.

Abwasser-Wärmepumpe hebt Wärmepotenzial

Voraussetzung: der forcierte Ausbau von Wärmenetzen in den kommenden Jahren. „Rund zwei Drittel des Poten­zials liegen im Bereich kleinerer Bestandsnetze mit Wachstumspotenzial oder in Eignungsgebieten für neue Wärmenetze“, schreiben die Autoren. Damit wird die Abwasserenergie zum idealen Partner bei der kommunalen Wärmeplanung. Die Kläranlage ist imgrunde in jeder Kommune eine Wärmequelle.

Was Abwasser so wertvoll macht: „Jeder Haushalt, der Warm­was­ser nutzt, aber auch Gewerbe und Industrie leiten täglich große Mengen an Wärme­ener­gie über das Abwasser in die Kana­lisa­tion ein. Dadurch hat Abwasser auch im Winter durchschnittlich eine Tempera­tur von 10 bis 12 Grad Celsius (°C), im Sommer von etwa 17 bis 20 °C“, erläu­tert die Arbeitsgemeinschaft Fernwär­me (AGFW) in einem Leitfaden. Um das niedrige Temperaturniveau zu nutzen, schlägt die Stunde der Wärmepumpen. Mit ihrer Hilfe ließen sich deutsch­land­weit „5 bis 15 Prozent des Wärmebe­darfs im deutschen Gebäudesektor mit Energie aus Abwasser“ decken. Das seien bis zu 100 TWh.

Bei den kommunalen Unternehmen kommt die Botschaft an. „Abwärme als Wärmequelle werten wir als absolut sinn­volle Ergänzung zu den gängigen erneuerbaren Wärmequellen“, sagte Markus Edlinger vom Stadtwerke-Netzwerk ASEW der Energiekommune. Für die kommunale Wärmeplanung wür­den Quellen wie Abwasser immer stärker diskutiert.

Technisch gibt es für ihren Einsatz eine Einschränkung: So empfiehlt der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft, darauf zu achten, dass „dem Abwasser keine Energie entzogen wird, die im Anschluss in der Kläranlage zur Erhaltung der Klär­bio­logie wieder zugeführt werden müss­te.“

Großwärmepumpen in Berlin und Hamburg für Kläranlagen als Wärmequellen

Die Warnung spielt auf die ins­be­son­dere in Großstädten angewandte Praxis an, Wärme direkt in einem der Abwasserkanäle zur dezentralen Verwendung (etwa für die Nahwärme in einem Neubauquartier) abzuzweigen. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) zum Beispiel haben derzeit 17 solcher Projekte mit einer installierten Entzugsleistung von 6,5 MW in Betrieb. Weitere sind geplant. „Die Nutzung von Abwasserwärme ist aus unserer Sicht ein elementarer Baustein der Wärmewende Berlins. Bis zu 5 Prozent des Berliner Wärmebedarfs lassen sich daraus decken“, sagte Sprecherin Astrid Hackenesch-Rump der Energiekommune.

Dass aber „durch diese Produkte so viel Wärme entzogen wird, dass die Reinigungsleistung unserer Klärwerke Schaden nimmt, ist nicht zu erwarten. Abwasserwärmeprojekte sind Neubauprojekte, die im verdichteten Stadtraum zwar kontinuierlich aber nicht flächendeckend realisiert werden.“ Die BWB unterhalten Abwasserleitungen von 8.000 Kilometer Länge und sechs Klärwerke. Diese Ausdehnung garan­tiere quasi kon­stante Temperaturen des Abwas­sers auch am Klärwerk Ruhele­ben. Dort baut die BEW Berliner Energie und Wärme (Ex-Vattenfall) am Ablauf eine 70 MW starke Großwärmepumpe.

Vorsichtiger äußert sich Hamburgs Wasserver- und -entsorger. Er plant am Stand­ort seiner einzigen Kläranlage mit 60 Megawatt ebenfalls eine Groß­wärme­pum­pe zur Abwasserwärmenutzung. Deren Wirkungsgrad würde „durch eine zu starke netzseitige Temperaturabsenkung abnehmen“, erläu­tert Sprecherin Anna Vietighoff. Um das Temperaturniveau durch die Wärmepumpe auf 95 Grad Celsius zu erhöhen, seien acht Grad Abwasserwärme das Minimum. Wärmeentnahmen in Hamburgs Kanä­len bleiben deshalb die Ausnahme.

Die Großwärmepumpe soll in unmittelbarer Nähe zu den eierförmigen Faultürmen arbeiten, in denen Ham­burg Wasser aus den Klärresten Biogas gewinnt zur Biomethan-Aufbereitung. Klärwerken, die das Biogas bisher noch in Blockheizkraftwerken verbrennen, rät das österreichische Forschungsinstitut AEE Intec, es den Hamburgern gleich zu tun und Biomethan als eigenes Produkt anzubieten. Die für die Beheizung der Faultürme nötige Wärme lasse sich auch durch Abwasserwärmepumpen erzielen, wie es die österreichische Gemeinde Kapfenberg plane.

Zusatzgeschäfte für Klärwerke

Eine weitere Option zur Diversifizierung des Klärwerk-Geschäfts: die Abschei­dung von gefragten Rohstoffen wie Stickstoff aus dem Abwasser, entweder zur Vermarktung oder als Ammoniak zum Betrieb einer Festoxid-Brennstoffzelle. Diese Option kann für Klärwerke, so die Analyse der Forschenden, wirtschaftlich attraktiv ein.

Nicht bei allen Abwasserbetreibern passen die Parameter, um Wärmepumpen zu installieren oder in Biomethan und Ammonium zu investieren. Was die meisten aber haben, ist Fläche. Deshalb bietet sich der Bau von Photovoltaikanlagen an. Und immer mehr Klärwerksbetreiber ergreifen die Chance für mehr grüne Energieautarkie.

Photovoltaik an der Kläranlage

So wie der Kyffhäuser Abwasser- und Trinkwasserverband (KAT), die mit der Teag Solar eine PV-Anlage mit Speicher realisiert. Laut dem Solar­dienst­leis­ter eigneten sich kommunale Kläranla­gen aufgrund ihrer Lage mit unverschat­te­ten Flächen und dank bau­recht­licher Vorschriften besonders gut für die Installation großflächiger Photovoltaikanlagen. Außerdem lasse sich der PV-Strom mit einem Speicher ideal selbst verbrauchen.
Und auch die Klärbecken können als Standort der PV-Erzeugung dienen. So haben die Servicebetriebe Neuwied dort die deutschlandweit erste PV-Anlage als Faltdach in Betrieb genommen. Die faltbare Solaranlage nimmt eine Fläche von 1.600 Quadratmetern ein und erlaube den ungestörten Be­trieb des Klärwerks, so die Betreiber. Bei Bedarf lässt sich die Anlage einfahren und in einer überdachten Vorrichtung parken.

Autor: Oliver Ristau | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 10/2024 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!

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