Kläranlagen als Wärmequellen
Dass ein Klärwerk mehr kann als Abwasser zu reinigen, lässt sich in Lemgo schon seit einigen Jahren beobachten. Die 43.000-Einwohner-Stadt im nordrhein-westfälischen Kreis Lippe zählt zu den Pionieren auf dem Weg, Kläranlagen in Wärmequellen zu verwandeln. Die örtlichen Stadtwerke Lemgo sind in Deutschland die vermutlich ersten, die Wärme aus dem gereinigten Abwasser am Ablauf des Klärwerks auffangen und für die Fernwärme nutzen. Das war bis dato technisches Neuland, das die Stadtwerke mit der Installation einer großen Solarthermieanlage weiter besiedeln. Seitdem stammen 20 Prozent der Fernwärme für die Stadt aus grünen Quellen am Standort der Kläranlage.
Das Beispiel macht Schule. Etwa in Tübingen, wo die kommunalen Stadtwerke mithilfe einer Großwärmepumpe aus den städtischen Abwässern künftig bis zu 95 Gigawattstunden (GWh) für die Wärmeversorgung gewinnen wollen.
Vorausgegangen war dem eine Studie des regionalen DWA-Landesverbandes, des ifeu Instituts und der IBS Ingenieurgesellschaft. Darin untersuchten sie im Auftrag des Umweltministeriums von Baden-Württemberg die Abwässer als potenzielle Quelle für die kommunale Wärmewende. Die Forschenden ermittelten ein technisch-wirtschaftliches Potenzial für das Bundesland von rund jährlich 3,7 Terawattstunden (TWh) bei einer Leistung von 540 Megawatt (MW). Damit ließen sich 4,3 Prozent des Nutzwärmebedarfs von Bestandsgebäuden im „Ländle“ aus Kläranlagen als Wärmequellen decken, zeigt der Abschlussbericht.
Abwasser-Wärmepumpe hebt Wärmepotenzial
Voraussetzung: der forcierte Ausbau von Wärmenetzen in den kommenden Jahren. „Rund zwei Drittel des Potenzials liegen im Bereich kleinerer Bestandsnetze mit Wachstumspotenzial oder in Eignungsgebieten für neue Wärmenetze“, schreiben die Autoren. Damit wird die Abwasserenergie zum idealen Partner bei der kommunalen Wärmeplanung. Die Kläranlage ist imgrunde in jeder Kommune eine Wärmequelle.
Was Abwasser so wertvoll macht: „Jeder Haushalt, der Warmwasser nutzt, aber auch Gewerbe und Industrie leiten täglich große Mengen an Wärmeenergie über das Abwasser in die Kanalisation ein. Dadurch hat Abwasser auch im Winter durchschnittlich eine Temperatur von 10 bis 12 Grad Celsius (°C), im Sommer von etwa 17 bis 20 °C“, erläutert die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) in einem Leitfaden. Um das niedrige Temperaturniveau zu nutzen, schlägt die Stunde der Wärmepumpen. Mit ihrer Hilfe ließen sich deutschlandweit „5 bis 15 Prozent des Wärmebedarfs im deutschen Gebäudesektor mit Energie aus Abwasser“ decken. Das seien bis zu 100 TWh.
Bei den kommunalen Unternehmen kommt die Botschaft an. „Abwärme als Wärmequelle werten wir als absolut sinnvolle Ergänzung zu den gängigen erneuerbaren Wärmequellen“, sagte Markus Edlinger vom Stadtwerke-Netzwerk ASEW der Energiekommune. Für die kommunale Wärmeplanung würden Quellen wie Abwasser immer stärker diskutiert.
Technisch gibt es für ihren Einsatz eine Einschränkung: So empfiehlt der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft, darauf zu achten, dass „dem Abwasser keine Energie entzogen wird, die im Anschluss in der Kläranlage zur Erhaltung der Klärbiologie wieder zugeführt werden müsste.“
Großwärmepumpen in Berlin und Hamburg für Kläranlagen als Wärmequellen
Die Warnung spielt auf die insbesondere in Großstädten angewandte Praxis an, Wärme direkt in einem der Abwasserkanäle zur dezentralen Verwendung (etwa für die Nahwärme in einem Neubauquartier) abzuzweigen. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) zum Beispiel haben derzeit 17 solcher Projekte mit einer installierten Entzugsleistung von 6,5 MW in Betrieb. Weitere sind geplant. „Die Nutzung von Abwasserwärme ist aus unserer Sicht ein elementarer Baustein der Wärmewende Berlins. Bis zu 5 Prozent des Berliner Wärmebedarfs lassen sich daraus decken“, sagte Sprecherin Astrid Hackenesch-Rump der Energiekommune.
Dass aber „durch diese Produkte so viel Wärme entzogen wird, dass die Reinigungsleistung unserer Klärwerke Schaden nimmt, ist nicht zu erwarten. Abwasserwärmeprojekte sind Neubauprojekte, die im verdichteten Stadtraum zwar kontinuierlich aber nicht flächendeckend realisiert werden.“ Die BWB unterhalten Abwasserleitungen von 8.000 Kilometer Länge und sechs Klärwerke. Diese Ausdehnung garantiere quasi konstante Temperaturen des Abwassers auch am Klärwerk Ruheleben. Dort baut die BEW Berliner Energie und Wärme (Ex-Vattenfall) am Ablauf eine 70 MW starke Großwärmepumpe.
Vorsichtiger äußert sich Hamburgs Wasserver- und -entsorger. Er plant am Standort seiner einzigen Kläranlage mit 60 Megawatt ebenfalls eine Großwärmepumpe zur Abwasserwärmenutzung. Deren Wirkungsgrad würde „durch eine zu starke netzseitige Temperaturabsenkung abnehmen“, erläutert Sprecherin Anna Vietighoff. Um das Temperaturniveau durch die Wärmepumpe auf 95 Grad Celsius zu erhöhen, seien acht Grad Abwasserwärme das Minimum. Wärmeentnahmen in Hamburgs Kanälen bleiben deshalb die Ausnahme.
Die Großwärmepumpe soll in unmittelbarer Nähe zu den eierförmigen Faultürmen arbeiten, in denen Hamburg Wasser aus den Klärresten Biogas gewinnt zur Biomethan-Aufbereitung. Klärwerken, die das Biogas bisher noch in Blockheizkraftwerken verbrennen, rät das österreichische Forschungsinstitut AEE Intec, es den Hamburgern gleich zu tun und Biomethan als eigenes Produkt anzubieten. Die für die Beheizung der Faultürme nötige Wärme lasse sich auch durch Abwasserwärmepumpen erzielen, wie es die österreichische Gemeinde Kapfenberg plane.
Zusatzgeschäfte für Klärwerke
Eine weitere Option zur Diversifizierung des Klärwerk-Geschäfts: die Abscheidung von gefragten Rohstoffen wie Stickstoff aus dem Abwasser, entweder zur Vermarktung oder als Ammoniak zum Betrieb einer Festoxid-Brennstoffzelle. Diese Option kann für Klärwerke, so die Analyse der Forschenden, wirtschaftlich attraktiv ein.
Nicht bei allen Abwasserbetreibern passen die Parameter, um Wärmepumpen zu installieren oder in Biomethan und Ammonium zu investieren. Was die meisten aber haben, ist Fläche. Deshalb bietet sich der Bau von Photovoltaikanlagen an. Und immer mehr Klärwerksbetreiber ergreifen die Chance für mehr grüne Energieautarkie.
Photovoltaik an der Kläranlage
So wie der Kyffhäuser Abwasser- und Trinkwasserverband (KAT), die mit der Teag Solar eine PV-Anlage mit Speicher realisiert. Laut dem Solardienstleister eigneten sich kommunale Kläranlagen aufgrund ihrer Lage mit unverschatteten Flächen und dank baurechtlicher Vorschriften besonders gut für die Installation großflächiger Photovoltaikanlagen. Außerdem lasse sich der PV-Strom mit einem Speicher ideal selbst verbrauchen.
Und auch die Klärbecken können als Standort der PV-Erzeugung dienen. So haben die Servicebetriebe Neuwied dort die deutschlandweit erste PV-Anlage als Faltdach in Betrieb genommen. Die faltbare Solaranlage nimmt eine Fläche von 1.600 Quadratmetern ein und erlaube den ungestörten Betrieb des Klärwerks, so die Betreiber. Bei Bedarf lässt sich die Anlage einfahren und in einer überdachten Vorrichtung parken.
Autor: Oliver Ristau | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH
Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 10/2024 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!