Verbraucherzentrale: dynamische Stromtarife weitgehend unbekannt
Der Verbraucherzentralen-Bundesverband vzbv hat im Juli über Forsa eine haushaltsrepräsentative Umfrage unter gut 1.000 Erwachsenen in Deutschland durchführen lassen. Ähnliche Umfragen gab es bereits 2021 und 2023. In der jüngsten Umfrage gaben 81 Prozent der Befragten an, sich zu dynamischen Stromtarifen schlecht oder überhaupt nicht informiert zu fühlen. Über die Hälfte kannte dynamische Stromtarife überhaupt nicht. Auf Deutschland hochgerechnet entspricht das 19 Millionen Haushalten, in denen die Menschen nichts oder wenig über dynamische Stromtarife wissen. Bei den dynamischen Stromtarifen reichen die Energieversorger die Schwankungen auf dem Strommarkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter. Das führt zeitweise zu sehr niedrigen Preisen, in anderen Zeiten schießen die Preise hingegen in die Höhe. Sowohl die Chance auf einen niedrigen Preis als auch das Risiko hoher Preise liegen also auf der Kundenseite.
Dynamische Stromtarife „können“ sich auch ohne Verbrauchsverlagerung lohnen
Ab 2025 sind Energieversorger verpflichtet, mindestens einen dynamischen Stromtarif anzubieten. Laut einem Gutachten des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag des vzbv kann sich ein solcher Tarif auch für Privathaushalte lohnen – selbst dann, wenn sie kein nennenswertes Potenzial zur Verschiebung von Leistungen haben. Für diese Aussage hat das Autorenteam verschiedene dynamische und fixe Stromtarife für Beispielhaushalte mit unterschiedlichem Stromtarif verglichen. Es handelt sich dabei um einen Zeitraum, in dem die Preise erst deutlich sanken, dann wieder etwas anzogen, aber nicht das Niveau zum Jahresanfang erreichten. Trotz dieser für dynamische Tarife recht vorteilhaften Ausgangslage zeigte sich ein gemischtes Bild. Nur für einen Teil der Beispielhaushalte waren die dynamischen Tarife etwas billiger als die günstigsten Festpreise. Dass die Rechnung in Zeiten steigender Strompreise auch umgekehrt ausgehen kann, ist in dem Gutachten erwähnt. Eine Beispielrechnung dafür gibt es allerdings nicht.
Für den vzbv folgt daraus eine allgemein optimistisch klingende Einschätzung der dynamischen Stromtarife. „Mit dynamischen Stromtarifen können Verbraucher:innen an der Energiewende teilhaben und so direkt von günstigen Strompreisen an der Börse profitieren“, sagt Jutta Gurkmann, Geschäftsbereichsleiterin beim vzbv.
Mehr Transparenz für dynamische Stromtarife gefordert
Ein großes Problem vieler dynamischer Tarife bestehe zudem in der mangelnden Transparenz der Preisbildung und der komplizierten Tarifstruktur, kritisiert der vzbv. „Die jeweiligen Tarife kann jeder Anbieter unterschiedlich ausgestalten, was den Vergleich erschwert“, sagt Gurkmann. Der vzbv fordert daher Mindeststandards für Informationen über dynamische Stromtarife. Zudem sollten für Vergleichsportale klare Vorgaben gelten, sodass sich Festpreisverträge und dynamische Verträge optimal vergleichen lassen. Das Gutachten schlägt unter dem Aspekt der Informationspflichten Vergleiche anhand der historischen Daten von 12 Monaten vor – eine leistbare Anforderung, allerdings mit mäßigem Vorhersagewert für die Zukunft. Für den Vergleich auf Stromvergleichsportalen schlägt das Gutachten hingegen vor, „realistische Szenarien über längere Zeiträume“ darzustellen. Auf welcher Grundlage man diese „realistischen Szenarien“ für ein börsengehandeltes und vom Weltmarkt und politischen Entwicklungen abhängiges Produkt wie Strom erstellen soll, bleibt offen.
Verbraucherzentrale plädiert für dynamische Strompreise mit Absicherung
Zudem sollten Unternehmen Tarife anbieten, die eine Absicherung gegen „exorbitante Preissteigerungen“ enthalten, fordert der vzbv. Preisspitzen können sich ergeben, wenn die Energiepreise unerwartet steigen, wie zum Beispiel im Jahr 2022. Eine Absicherung „würde dynamische Tarife für weitere Verbrauchergruppen attraktiver machen“, sagt Gurkmann. Bisher bieten laut der Untersuchung des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft wenige Unternehmen eine solche Preisbremse an. Genannt ist der Anbieter Ostrom, bei dem man für einen Beitrag von knapp 50 Euro jährlich den Strompreis auf maximal 35 Cent pro kWh deckeln kann – allerdings nicht im stündlichen Tarif, sondern lediglich in einem monatlich variablen Tarif. Einen dynamischen Tarif mit Preisbremse gibt es auch bei 1komma5°. Dieser ist aber nur in Kombination mit einer Hardware erhältlich, mit der sich der Stromverbrauch steuern lässt. Beide Anbieter begrenzen zudem die Strommenge, für die die Preisbremse greift. Auch das Autorenteam räumt ein, dass eine solche Absicherung wohl nur begrenzt möglich sei, „da Anbieter sonst unter Umständen die Kosten selbst nicht mehr kompensieren können.“ Der vzbv erwähnt diese Einschränkung nicht. Ob die genannten Tarife mit Preisbremse unterm Strich noch günstiger sind als fixe Tarife, steht nicht in dem Gutachten.
Verbraucher können auch weiter fixe Stromtarife nutzen
Die Frage, welchen systemischen Nutzen dynamische Strompreise in Haushalten ohne steuerbare Verbraucher haben, umschifft das Gutachten. Die Tarife würden es ermöglichen, auf Preissignale zu reagieren, heißt es allgemein. Dass dieses Reaktionsvermögen in Haushalten ohne steuerbare Großverbraucher wie Elektroauto oder Wärmepumpe eher marginal ist, bleibt an dieser Stelle außen vor.
Laut Energiewirtschaftsgesetz sind die Stromversorger verpflichtet, neben dem dynamischen Tarif auch mindestens einen Tarif anzubieten, bei dem lediglich die Gesamtmenge des im Abrechnungszeitraum verbrauchten Stroms relevant ist. Fixe Stromtarife wird es auf absehbare Zeit also für alle geben.
Mehr über dynamische Stromtarife gibt es hier auf dem Solarserver.
Quelle: vzbv | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH