Turbulenzen um Windenergie im Sauerland
„In gewisser Weise bekommen wir gerade die Quittung für jahrelanges Nichtstun”, sagt Matthias Mann. Als Geschäftsführer der kommunalen Erneuerbare Energien Beteiligungs- und Entwicklungsgesellschaft im Kreis Olpe mbH (EEBE), einer Projektierungs-Gesellschaft im Besitz von sechs Sauerland-Kommunen und des Kreises Olpe, ist er mittendrin im stürmischen Geschehen. Mann hat erlebt, wie die Sauerland-Gemeinden jahrzehntelang die Windenergie „stiefmütterlich behandelt” haben, wie er diplomatisch sagt. Eine Trendwende begann dann vor etwa 5 Jahren, als sich die Bezirksregierung noch unter dem inzwischen pensionierten CDU-Regierungspräsidenten Hans-Josef Vogel anschickte, der Windenergie mittels Ausweisung von Windenergiebereichen (WEB) in neuen Raumordnungsplänen signifikant Raum zu geben. Zwar wurde die in den ersten Planentwürfen ambitionierte Ausdehnung der WEB im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung verschiedentlich gestutzt. Doch die zwischenzeitig mit dem Beschluss über das bundesweite Windflächen-Bedarfsgesetzes (WindBG) vorgesehenen Flächenziele scheinen mit den nunmehr NRW-weit angeschobenen Regionalplänen durchaus erreichbar.
Die NRW-Landesregierung hatte sich nicht nur die Neuerrichtung von 1000 Windturbinen bis 2027 im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt. Sie will auch Windenergiegebiete in neuen Regionalplänen landesweit bereits bis Ende 2025 festlegen und damit die bundesweiten Vorgaben vorzeitig erfüllen. Die Flächenziele des WindBG, die das Bundesgesetz zweistufig für 2027 und 2032 aufschlüsselt, will die NRW-Regierung bereits im ersten Schritt erfüllen und das schon 2025. NRW wäre damit deutlich früher dran als viele andere Bundesländer. Mit der frühzeitigen, einstufigen Zielplanung verbindet die Koalition auch die Hoffnung, die teils hitzigen Debatten vor Ort möglichst bald abzukühlen, weil die Rahmenbedingungen für die Windenergie dann klar sind.
Viele Bauvoranfragen für Windenergie
Seit dem OVG-Urteil gegen die Bezirksregierung Arnsberg kocht das Thema allerdings vor allem im Sauerland zunächst mal hoch. Die Behörde wollte den Kommunen gemäß einer Klausel des Landesplanungsgesetzes erlauben, Genehmigungsverfahren für Anlagenstandorte außerhalb der in den noch nicht rechtskräftigen Regionalplänen avisierten Vorranggebieten bis zu deren Inkrafttreten im Laufe des Jahres 2025 zurückzustellen. Dem hat das OVG allerdings einen Riegel vorgeschoben.
So gilt nun mangels neuer Vorranggebiete weiterhin der bisherige Rahmen für Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen. Das heißt, überall dort, wo seitens der Kommunen keine Flächennutzungspläne aufgestellt wurden, um die Windenergie steuern, gelten Windkraftanlagen nach § 35 des Baugesetzbuches (BauGB) im Außenbereich als privilegierte Anlagen. Zwar hat das weitgehende Fehlen solcher Flächennutzungspläne in der Vergangenheit gerade im Sauerland nicht etwa zu einem Boom von Windparks geführt. Das verhinderten schon die Mühlen von Bürokratie und Juristerei, in denen manches Projekt hängen blieb.
Doch mittlerweile hat sich der Wind gedreht. NRW verzeichnet mit bereits mehr als 550 neu genehmigten Windturbinen im laufenden Jahr einen Genehmigungsrekord. Erneuerbare Energieerzeugung hat nach § 2 des EEG Vorrang vor vielen anderen Belangen; außerdem gelten für die Genehmigungsverfahren EU-weit strengere Zeitvorgaben. Deshalb wittern manche Windprojektierer jetzt ihre Chance, vor dem Inkrafttreten der neuen Regionalpläne noch schnell einige Projekte ins Genehmigungsverfahren zu bringen, die nach Inkrafttreten des Regionalplans vielleicht keine Chance hätten. In einigen Kommunen Südwestfalens häufen sich deshalb die Bauvoranfragen für Windturbinen.
Positive Antwort auf Voranfrage ist keine Vorentscheidung
Dass eine Kommune eine solche Bauvoranfrage positiv bescheiden müsse, weil dem Vorhaben rein baurechtlich zurzeit nichts entgegensteht, ist allerdings keineswegs eine Vorentscheidung für das spätere immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren. In dem geht es um zahlreiche weitere Themen wie Lärm, Schattenwurf und Artenschutz. Das betont auch Matthias Mann, der mit der kommunalen Projektierungsgesellschaft EEBE im Kreis Olpe kommunale Interessen verfolgt und kleinere Landbesitzerinnen beim Flächenpooling unterstützt. Im Erfolgsfall sollen gemeinsame Bürgerwindparks entstehen. Ein Windenergieprojekt benötige mehrere Jahre Planungsvorlauf, betont Mann. Deshalb könnten außerhalb der künftigen Windenergiegebiete wohl allenfalls solche Projekte von der aktuellen Situation profitieren, deren Planung schon sehr weit fortgeschritten sei.
Einzelne Kommunen im Sauerland sähen sich deshalb tatsächlich einer hohen Zahl von Bauvoranfragen gegenüber. Und tatsächlich könne es auch im Kreis Olpe Bereiche geben, in denen deutlich mehr Windkraftanlagen als bislang entstehen könnten. Die aktuelle öffentlichen Diskussion darüber nennt Mann jedoch „ein Stück weit Panikmache”.
Kein Wildwuchs von Windenergie-Anlagen
Dem Begriff „Wildwuchs”, der jetzt häufig in der Lokalpresse zu lesen war, widerspricht auch Max Feldes Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE NRW): „Solche Aussagen suggerieren, dass es dazu keine bestehende Regulatorik gibt. Wenn Genehmigungen erteilt werden, dann auf Grundlage von Bundesgesetzen, die seit Jahren gelten. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Ansinnen, landesseitig hieran etwas zu ändern, zwei klare Absagen erteilt. Wir verstehen in diesem Zusammenhang das Bedürfnis nach einer Form räumlicher Steuerung. Das beste und rechtssicherste Instrument bleibt jedoch die zeitnahe Aufstellung der Regionalpläne. Wenn die Regionalpläne wie geplant in den nächsten Monaten in Kraft treten und für die Windenergie nutzbare Flächen ausweisen, ist die Sache ohnehin erledigt.”
Die Optionen in der Übergangsphase dürften auch eines der meistdiskutierten Themen bei den Windenergietagen NRW sein. Zu dem Branchenevent treffen sich in dieser Woche am Donnerstag und am heutigen Freitag rund 300 Teilnehmer:innen in Bad Driburg. Die Stimmung in der Branche ist derzeit positiv, wie auch Max Feldes bestätigt: „Wir haben gerade die Situation, die sich alle seit Jahren gewünscht haben: Genehmigungs- und Ausbauzahlen nehmen deutlich zu und das 1000-Anlagen-Ziel der Landesregierung scheint realistisch. Gut ist aus unserer Sicht auch, dass der Ausbau jetzt auch in Regionen stattfindet, in denen die Windenergie lange keine Rolle gespielt hat. Aber dass es dort nun Widerstände gibt, ist wenig verwunderlich.”
Autor: Guido Bröer | © Solarthemen Media GmbH