SPD und Grüne bringen Energierechts-Novelle in den Bundestag
Für die Novelle erhofft sich die Restkoalition auf den letzten Metern der Legislaturperiode noch die Zustimmung von Teilen der Opposition. Um vor allem Politiker:innen der CDU eine konstruktive Mitwirkung schmackhaft zu machen und die Komplexität der Energierechts-Novelle angesichts des Zeitdrucks zu reduzieren, wollen SPD und Grüne auf große Teile der ursprünglich geplanten Novelle verzichten. Der Umfang des von den Regierungsfraktionen am Dienstag beschlossenen Gesetzentwurfs hat sich gegenüber der im Kabinett bereits im November durchgewunkenen Version des Bundeswirtschaftsministeriums auf ein Viertel reduziert. Statt etwa 450 Seiten wird der Bundestag am Freitag dieser Woche nur 109 Seiten in erster Lesung zur Kenntnis nehmen und an seine Ausschüsse verweisen. Mit einem weiteren, separaten Gesetzentwurf wollen SPD und Grüne am Freitag auch ein Gesetzgebungsverfahren zur Sicherung der Anschlussförderung von Biogasanlagen und für deren Flexibilisierung starten.
Der SPD-Abgeordnete Markus Hümpfer, der als Berichterstatter seiner Fraktion zusammen mit Andreas Mehltretter und der energiepolitischen Sprecherin Nina Scheer die Gesetzentwürfe aufseiten der Sozialdemokraten maßgeblich erarbeitet hat, zeigt sich gegenüber den Solarthemen durchaus zuversichtlich, dass eine derart geschrumpfte Energierechtsnovelle die Chance hat, eine Mehrheit im Bundestag zu finden. Hümpfer sagt: „Es gibt Signale aus den anderen Parteien, dass man sich eine Zustimmung vorstellen könne.” Schließlich werde auch die CDU kein Interesse daran haben, dass an Ostern oder Pfingsten 2025 bei hoher Sonneneinstrahlung und geringem Stromverbrauch das Netz aufgrund nicht steuerbarer PV-Kapazitäten kollabiere, meint der SPD-Politiker.
Vermeidung von temporären Energieüberschüssen
Schon im Titel des vorliegende „Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Vermeidung von temporären Energieüberschüssen” wird deutlich, dass das, was von der ursprünglich geplanten Energierechtsnovelle übrig geblieben ist, auf genau solche Szenarien hoher Netzbelastung und zunehmend negativer Strompreise insbesondere durch Photovoltaik zielt. Fast alle neuen Ökostrom-Anlagen sollen mit Wirkung bereits ab dem 1. Januar 2025 – zumindest auf dem Papier – für die Netzbetreiber sichtbar und abregelbar sein. Einzige Ausnahme: Steckersolargeräte mit maximal 2000 Watt Generator- und 800 Watt Wechselrichterleistung, sofern sie aus Sicht des Netzbetreibers hinter dem Hausanschluss eines Stromkunden installiert sind.
Dafür sorgen sollen neue Vorgaben für den Smart Meter Rollout im Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG), dessen Novelle ebenfalls Teil des Gesetzentwurfes ist. Künftig sollen die Messstellenbetreiber anstelle der EE-Anlagenbetreiber die wesentliche Verantwortung für die Sicherstellung von Sicht- und Steuerbarkeit der Anlagen tragen. Gleichwohl müssen Anlagenbetreiber daran mitwirken, dass die Messstellenbetreiber ihren Pflichten zum Einbau der Mess- und Steuerungsgeräte nachkommen können. Wer als Anlagenbetreiber:in nicht kooperativ ist, dem drohen nicht mehr nur empfindliche Strafen, sondern der Netzbetreiber soll nach dem neuen § 52a EEG auch verpflichtet sein, Anlagen nach einer lediglich vierwöchigen Vorwarnzeit mechanisch vom Netz zu trennen, sofern er entsprechende Defizite feststellt.
Vorläufige Wirkleistungsbegrenzung bei 60 Prozent
Gegenüber den Plänen des Wirtschaftsministeriums haben die Abgeordneten von SPD und Grünen dem Gesetzentwurf aber auch einige Härten genommen. Beispielsweise sieht die Novelle in § 9 EEG vor, dass für eine Übergangszeit, solange noch kein Smart-Meter installiert und vom Netzbetreiber erfolgreich getestet worden ist, die Einspeisung von Anlagen, die eine feste Einspeisevergütung bekommen, auf 60 Prozent ihrer maximalen Wirkleistung begrenzt wird. Nach den ursprünglichen Plänen wollte das BMWK lediglich 50 Prozent zulassen. Wer als PV-Überschusseinspeiser:in ohnehin einen Speicher installieren will, der oder die muss sich darüber kaum Gedanken machen. Wer allerdings auf die höheren Vergütungssätze für eine PV-Volleinspeiseanlage setzt, für die- oder denjenigen kann es Sinn machen, sich um den vorzeitigen freiwilligen Einbau eines Smart Meters zu bemühen, um die pauschale Kappung der Einspeisung zu vermeiden. Denn die letzte Stufe des Smart-Meter-Pflichteinbaus soll erst bis 2032 abgeschlossen sein.
Entschärft haben die Koalitionsabgeordneten auch die Vorgaben zur verpflichtenden Direktvermarktung. Sollte die Grenze dafür nach den Plänen des Habeck-Ministeriums schrittweise in den nächsten drei Jahren von 100 kWp auf 25 kWp gesenkt werden, so findet sich davon im aktuellen Gesetzentwurf nichts mehr. Freilich können Betreiber kleinerer PV-Anlagen auch künftig in die Direktvermarktung wechseln, wenn sie einen Anbieter finden, der sie zu attraktiven Konditionen aufnimmt. Wollte der Kabinettsentwurf einen solchen freiwilligen Wechsel in die Direktvermarktung zur Einbahnstraße machen – vermutlich um Rosinenpickerei zu verhindern – so haben die Koalitionspolitiker:innen diese Einschränkung aus ihrer Gesetzesinitiative gestrichen, um Wechselinteressenten eine Hürde zu nehmen. Deren Zahl könnte schon deshalb künftig zunehmen, weil der 60-Prozent-Deckel für Anlagen in der Direktvermarktung nicht gelten soll.
Sofortiger Förderstopp bei negativen Preisen
Verschärfen, aber auch vereinfachen, wollen die Koalitionsfraktionen den im Sommer von den Ampel-Spitzen angekündigten sofortigen Förderstopp bei negativen Spotmarktpreisen. Nach aktueller Gesetzeslage greift der Förderstopp erst nach 3 Stunden mit ununterbrochen negativen Börsen-Strompreisen und zwar nur für Anlagen mit mehr als 400 kWp. Der Kabinettsentwurf aus dem November hatte vorgesehen, den anzulegenden Wert sofort auf Null zu setzen, sobald Negativpreise auftreten. Mit der 2025 anstehenden Umstellung der Strombörsen auf Viertelstundenprodukte würde der Förderstopp also bereits in der ersten Viertelstunde mit einem Negativpreis greifen. An diesem Prinzip wollen auch die Regierungsfraktionen nichts ändern. Doch sie verschärfen den Kabinettsentwurf sogar noch, indem sie die einjährige Karenzzeit für Anlagen zwischen 100 und 400 kWp abschaffen. Denen wollte das Wirtschaftsministerium noch eine Übergangszeit bis Ende 2025 einräumen. Nun soll die Regelung formal für alle Anlagen ab 2 kW aufwärts schon ab Inbetriebnahmedatum 1.1.2025 rückwirkend gelten. Für Anlagen unterhalb von 100 kWp wird die Gnadenfrist allerdings pragmatisch bis zum tatsächlichen Einbau eines Smart Meters gestreckt. Anders würde es auch keinen Sinn ergeben, denn ohne Smart Meter kann der Netzbetreiber keine viertelstundenscharfe Abgrenzung der nicht zu vergütenden Strommengen vornehmen. Solange kein Smart Meter eingebaut ist, läuft die Vergütung und Einspeisung dieser nicht steuerbaren Anlagen also unabhängig vom Strommarkt weiter.
Verlängerung des Förderzeitraums als Ausgleich
Für alle von Förderstopps bei negativen Preisen betroffenen Anlagen, soll es weiterhin einen zeitlichen Ausgleich für die entstehenden Förderlücken geben. Ihr Förderzeitraum von netto 20 Jahren verlängert sich nach § 51a um genau die Anzahl von Viertelstunden, in denen die Förderung zuvor wegen Negativpreisen ausgefallen ist. Zur Orientierung: Ein normales Jahr hat 35040 Viertelstunden, ein Schaltjahr 35136.
Bis auf weiteres ausgenommen bleiben unter den Neuanlagen lediglich Erzeugungsanlagen mit weniger als 2 kWp. Sollte sich allerdings die Bundesnetzagentur eines Tages bemüßigt fühlen von einer neuen Festlegungskompetenz nach § 94 Abs. 2 Nummer 122 EEG Gebrauch zu machen, dann würde auch den ganz kleinen Anlagen bei Negativpreisen die Förderung gestrichen.
Bonus für freiwillige Netzentlastung
Bei alledem genießen ältere EE-Anlagen Bestandsschutz. Die Koalition möchte jedoch auch deren Betreiber motivieren, sich auf ein stärker stromnetzdienliches Verhalten einzulassen. So sollen Anlagenbetreiber belohnt werden, die sich freiwillig gegenüber ihrem Netzbetreiber auf eine Streichung ihrer Förderung bei Negativpreisen und auf eine Abregelung ihrer Anlagen einlassen. § 100, Abs. 47 sieht für sie eine Prämie vor. Um 0,6 Cent soll zum Ausgleich für ihr Entgegenkommen die Vergütung beziehungsweise Marktprämie in Zeiten positiver Strompreise steigen. Diese Möglichkeit können Betreiber aber erst nach Ablauf des Kalenderjahres nutzen, in dem ihre Erzeugungsanlage mit einem intelligenten Messsystem ausgestattet wird.
Wichtig ist den Koalitionspolitiker:innen auch, dass Netzbetreiber und potenzielle Einspeiser künftig flexible Netzanschlussvereinbarungen schließen können. EnWG und EEG beschreiben dafür gleichlautend, welche Punkte individuell zu vereinbaren sind. Flexible Netzanschlussvereinbarungen, bei denen der Anlagenbetreiber beispielsweise auf einen Teil der maximalen Anschlussleistung verzichtet, sollen helfen, vorhandene Netzkapazitäten besser auszunutzen, indem sich etwa vorhandene Netzanschlusspunkte „überbauen“ lassen. Zugleich könnten damit Anlagen früher oder mit kürzeren Anbindeleitungen an den Start gehen, wo Netzkapazitäten für einen Anschluss der vollen Leistung (noch) nicht ausreichen.
Vorerst kein Energy Sharing
Um die Gesetzesnovelle zu verschlanken und unter den aktuell schwierigen Bedingungen eventuell mehrheitsfähig zu machen, haben die Energiepolitiker:innen der Koalition auf vieles verzichtet, was im ursprünglichen Gesetzespaket des Kabinettsentwurfs enthalten war. Dazu zählt unter anderem das Energy Sharing, das – nicht zuletzt aufgrund von EU-Vorgaben – die Ampelregierung im Energiewirtschaftsgesetz nun endlich einführen wollte.
Auch die von der Branche sehr begrüßten Regelungen zur Digitalisierung und Entbürokratisierung der Kommunikation rund um Netzanschlussbegehren ist im jüngsten Gesetzentwurf nicht mehr enthalten. Weiterhin auf eine Klarstellung warten müssen auch Agri-PV-Projekte mit einachsig nachgeführten PV-Anlagen. Weil die entsprechenden Passagen in mehreren EEG-Paragraphen aus dem Entwurf gestrichen wurden, können solche Anlagen weiterhin nicht als hochaufgeständerte Agri-PV von der Vorzugsbehandlung in den EEG-Ausschreibungen profitieren.
Dies sind nur einige der vielen Details der angekündigten Energierechtsnovelle, die bis zu einem möglichen neuen Anlauf durch eine künftige Regierung auf Eis liegen oder sogar für immer in der Schublade verschwinden werden.
Sachpolitik versus Parteitaktik
In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob sich die Fachpolitiker:innen von Koalition und Opposition zumindest auf den verblieben Teil der in den Gesetzentwürfen enthaltenen Neuerungen einigen können. Eine Verabschiedung des Gesetzes wäre dann schon Ende Januar möglich. Es stellt sich aber weiterhin die Frage, ob es auch die Spitzen der Oppositionsfraktionen für opportun halten, im Wahlkampf energiepolitischen Initiativen der ehemaligen Ampelparteien SPD und Grüne zu Mehrheiten zu verhelfen.
Autor: Guido Bröer | © Solarthemen Media GmbH