Seit Neujahr: Dynamischer Stromtarif für alle?
„Bis vor zwei Jahren war ich sehr skeptisch, was dynamische Stromtarife angeht“, sagt Inse Ewen von der Verbraucherzentrale Bremen. Doch dann habe ihr ein Bekannter seine App gezeigt. „Mit App ist das alles transparent für Leute, die sich auskennen und technikaffin sind“, so Ewen.
Seit Anfang 2025 müssen alle Stromversorger dynamische Stromtarife anbieten, die sich immer am gerade aktuellen Börsenstrompreis orientieren, und bei der Verbraucherzentrale laufen nun viele Anfragen auf. Die Vorteile für die Verbraucher:innen sind laut Ewen mögliche Kosteneinsparungen. Sie können von der Energiewende und von günstigen Preisen von erneuerbarer Energien profitieren und sich markt- und netzdienlich verhalten. Sie zahlen keine Abschläge mehr, sondern jeden Monat zu den Tarifen für den Strom, den sie verbraucht haben. Zudem handelt es sich um kurzfristige Verträge, die in der Regel monatlich kündbar sind.
Die Verbraucher:innen tragen auf der anderen Seite das Risiko, dass in Hochpreiszeiten hohe Stromkosten auflaufen. Ihre Kosten sind nicht planbar und der Nutzen ist sehr abzuschätzen. Außerdem ist immer eine intelligente Messeinrichtung, also ein Smart Meter, notwendig, um überhaupt einen dynamischen Stromtarif wählen zu können. Eine Gefahr ist es für Verbraucher:innen, wenn sie auf Vergleichsportalen dynamische und nicht dynamische Stromtarife gemischt angezeigt bekommen und dann die aktuellen Preisvorteile sehen, ohne zu begreifen, dass der dynamische Tarif eben nicht fix ist und sich ständig ändert. Für die meisten Leute lohnt sich der dynamische Stromtarif auch nur, wenn sie ihr Nutzerverhalten anpassen.
Flexibilität ist der Schlüssel
Anders sieht es aus, wenn es sich um Haushalte mit Wärmepumpe, Elektroauto handelt, die auch noch über eine Photovoltaikanlage und einen PV-Speicher verfügen. Hier kann man mit einer Verbrauchssteuerung viel beim Strom einsparen, wenn man einen dynamischen Tarif nutzt.
PV-Anlagen-Betreibende können schon bei den Netzentgelten einiges einsparen. Da PV-Speicher, Wärmepumpen und Wallboxen steuerbare Verbrauchseinrichtungen nach Paragraf 14a EnWG sind (siehe Kasten), sieht das Gesetz als Gegenleistung für den Eingriff von außen eine Entlastung bei den Netzentgelten vor. Das kann ein jährlicher Pauschalbetrag oder eine Entlastung je Kilowattstunde sein. Beim Bremer Netzbetreiber Wesernetz beträgt die Pauschale derzeit 112,60 Euro, die Reduktion je Kilowattstunde 2,42 Cent. Ab April ist auch eine tageszeitabhängige Netzentgeltreduktion möglich. Welche Variante die Kund:innen wählen, ist ihnen überlassen.
Für Photovoltaikanlagen mit Speicher gibt es schon seit Längerem Energiemanagementsysteme, die dafür sorgen sollen, dass der Stromverbrauch im Haushalt immer dann so hoch wie möglich ist, wenn die Sonne scheint und die Überschüsse dann in den PV-Speicher laden. Solche Systeme können auch den Netzbezug morgens und am frühen Abend reduzieren, wenn der Stromverbrauch und damit auch die Strompreise in Deutschland am höchsten sind. Der Dresdner Solaranbieter Solarwatt beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Energiemanagement und hat das System nun für dynamische Stromtarife erweitert. Das Unternehmen bietet anders als andere Photovoltaikanbieter wie Enpal oder 1Komma5° keinen eigenen dynamischen Tarif an. „Unsere Kunden wollen unabhängig sein“, sagt Solarwatt-CPO Peter Bachmann. „Unser Energiemanagement geht für alle dynamischen Tarife, egal von welchem Anbieter. Wir kümmern uns um die Optimierung dahinter.“
Wettbewerb beginnt
Damit lässt Solarwatt den Kund:innen bewusst die Wahl. Diese könnten ihren Tarif auch beispielsweise jährlich wechseln, um mit Neukundenboni zu sparen. Bachmann geht davon aus, dass dieses Jahr der Wettbewerb so richtig losgeht und die Verbraucher:innen davon profitieren können. Für Leute, die noch unentschlossen sind, empfiehlt Solarwatt den Anbieter Rabot Energy, mit dem das Unternehmen kooperiert und der auch spezielle Aktionspreise für Solarwatt-Kund:innen anbietet.
Für Transparenz sorgt Solarwatt über die App. Jeden Mittag erhalten die Kund:innen die Info, wie viel der Strom am kommenden Tag zu den unterschiedlichen Zeiten kostet. Diese Daten fließen auch in das Energiemanagementsystem ein und sind die Basis der Kostenoptimierung. Der größte Hebel für günstige Stromkosten ist laut Bachmann aber vor allem der Solarstrom-Eigenverbrauch. 60 bis 70 Prozent des Stromverbrauchs könnten Haushalte mit Kosten von etwa 5 Cent/kWh für Solarstrom oder von 15 Cent/KWh für zwischengespeicherten Solarstrom abdecken.
Mit einem dynamischen Stromtarif lässt sich auch der Rest von 30 bis 40 Prozent günstig einkaufen. Solarwatt hat Modellrechnungen erstellt, nach denen man mit Wärmepumpe und Elektroauto 800 bis 1.000 Euro im Jahr einsparen kann. Ein weiteres Potenzial ergibt sich zukünftig mit dem bidirektionalen Laden.
Flaschenhals Smart Meter
Bei einer kürzlichen Marktbefragung im Auftrag von Enpal wussten 70 Prozent der Befragten über dynamische Stromtarife nicht Bescheid und konnten mit dem Begriff Smart Meter nichts anfangen. Bei Solarwatt ist die Nachfrage nach dynamischen Tarifen jedoch groß. „Unter PV-Begeisterten ist das Interesse hoch“, sagt Bachmann. „PV-Betreiber sind vorn mit dabei und wollen ihre Anlage optimieren.“ Zudem zeigt Solarwatt den Kund:innen auf der App an, was sie mit einem dynamischen Tarif sparen könnten. Doch Interesse allein reicht nicht. Die Installation des Smart Meters ist derzeit der Flaschenhals, der die Nutzung dynamischer Tarife behindert. Bachmann geht aber davon aus, dass es 2025 mit der Installation von Smart Metern so richtig losgeht.
Und auch im Photovoltaikmarkt könnte sich einiges ändern.
Energiemanagementsysteme werden ein noch wichtigerer Bestandteil der PV-Anlage. Die Nachrüstung solcher Systeme in Altanlagen bietet Marktchancen. Gerade bei Ü20-Anlagen, die keine EEG-Vergütung mehr erhalten, kann die Umstellung auf Eigenbedarf zusammen mit einem dynamischen Stromtarif die Stromkosten deutlich senken.
Paragraf 14a EnWG: Wenn der Netzbetreiber die Wärmepumpe dimmt
Seit Beginn des Jahres 2024 dürfen laut Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) Netzbetreiber eines Niederspannungsnetzes steuerbare Verbrauchseinrichtungen herunterregeln, wenn das für die Stabilität des Netzes notwendig ist. Steuerbare Verbrauchseinrichtungen sind alle PV-Speicher, Wallboxen, Klimaanlagen und Wärmepumpen mit mehr als 4,2 kW Anschlussleistung. Denn diese Geräte können Netzinstabilitäten verursachen, wenn viele Haushalte sie gleichzeitig anschalten. Luftwärmepumpen sind wegen ihres integrierten Heizstabes immer betroffen.
Installateure sind verpflichtet, bei der Montage dieser Verbrauchseinrichtungen die Steuerbarkeit bereits vorzubereiten. So muss zum Beispiel ein Kabel vom Zählerkasten zum Gerät führen, mit dem der Netzbetreiber ein Steuersignal senden kann. Viele Handwerker wissen jedoch nichts von dieser Verpflichtung. Hendrik Westphal, Prokurist beim Bremer Standort vom Photovoltaik-Installationsbetrieb 1Komma5°, sieht immer wieder Wärmepumpen, die nicht wie vorgeschrieben vorbereitet wurden, und dass, obwohl Installateure bei der Anmeldung einer Wärmepumpe beim Netzbetreiber Wesernetz in Bremen bestätigen müssen, dass sie die Anforderungen gemäß Paragraf 14a EnWG eingehalten haben.
Leistungsreduktion obligatorisch
Wenn dann der Netzbetreiber anmeldet, die Steuerbox zu installieren, kann es Probleme für den Anlagenbetreiber geben. Es droht sogar die Stilllegung der Wärmepumpe, die der Betreiber durch Nachrüstung allerdings abwenden kann. Bei Betreibern von nur einer steuerbaren Verbrauchseinrichtung kann der Netzbetreiber die Leistung bei Bedarf auf 4,2 kW reduzieren. Sind es zwei, so geht es auf 7,56 kW herunter. Haushaltsstrom ist von der Reduktion nicht betroffen. Für die Abregelung kann man Relais nutzen, die nur An und Aus können. Mit einem zertifizierten Energiemanagementsystem kann auch eine gezielte Ansteuerung erfolgen. So könnte zum Beispiel die Wärmepumpe mit 3,5 kW weiterlaufen und gleichzeitig das E-Auto mit den restlichen 4,06 kW laden. Für den Komfort der Haushalte sei daher ein Energiemanagementsystem ganz wichtig, so Westphal.
Bisher nutzen Netzbetreiber die Möglichkeit der Regelbarkeit praktisch noch nicht. Dennoch führt § 14a bereits zu Verunsicherungen. Menschen befürchten, dass ihre Wärmepumpe einfach ausgeschaltet wird. Christoph Felten vom Energiekonsens, der Klimaschutzagentur im Land Bremen, hält es für wichtig, dass die Branche nicht den Begriff „Abregeln“ kommuniziert, sondern von „Dimmen“ oder „Herunterregeln“ spricht, wie er auf dem Bremer „Akteursforum Solar“ Mitte Januar anregte.
Für die meisten Leute lohnt sich der dynamische Stromtarif auch nur, wenn sie ihr Nutzungsverhalten anpassen.
Autor: Jens Peter Meyer | © Solarthemen Media GmbH