Enel: Digitale Token für virtuelle Prosumer

Es ist eine völlig neue Art und Weise, Stromkundinnen und -kunden an der Photovoltaik zu beteiligen: die Option, ihnen digitalisierte Anteile an Solarparks anzubieten. In Italien ist Europas zweitgrößter Stromerzeuger mit einer solchen „Tokenisierung“ vorgeprescht. Ein Token ist laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) die „digitalisierte Abbildung eines Vermögenswertes inklusive der in diesem Wert enthaltenen Rechte und Pflichten“.
Enel richtet sich mit seinem neuen Angebot vor allem an die Menschen, die nicht über ein eigenes Gebäude verfügen, aber sich mit Solar- oder Windstrom versorgen wollen. Sie erhalten Anteile an den Anlagen, die Enel für sie verwaltet. Und die Stromproduktion koppelt Enel an den Verbrauch in den jeweiligen Haushalten. Sofern Erzeugung und Konsum übereinstimmen, erhalten die Enel-Kunden einen entsprechenden Rabatt auf ihre Stromrechnung. Enel selbst spricht hier von „virtuellen Prosumern“.
Enel kooperiert mit Conio
Kunden, die an der Beteiligung Interesse haben, müssen sich laut Enel an den italienischen Krypto-Dienstleister Conio wenden. Im Chat auf der Unternehmenswebsite erklärt Mitarbeiter Andrea, wie es funktioniert: „Die Token repräsentieren einen Anteil an einem oder mehreren Enel-Stromerzeugungsanlagen wie Solar- oder Windparks. Damit können Kunden ihre Stromrechnung senken und bis zu 70 Prozent des eigenen Energieverbrauchs abdecken.“ In Deutschland stehe das Angebot allerdings nicht zur Verfügung, bedauert er. Die Beteiligungsoption ist auf Kunden in Italien beschränkt.
Noch ist das Angebot laut Enel weltweit einzigartig. Doch die Tokenisierung von Solarparks könnte auch in Deutschland Nachahmer finden. Denn rechtlich hat eine neue EU-Verordnung zur Regulierung von Kryptowerten mit Namen MiCAR den Weg dafür frei gemacht.
Neue Krypto-Kategorie
Die hat eine neue Krypto-Kategorie geschaffen, die es erlaubt, dass Privatpersonen direkt an realen Vermögensgegenständen wie Infrastrukturen und Kraftwerken partizipieren – und zwar über sogenannte vermögenswertbezogene Token (Asset-Referenced Token, ART). Enel macht jetzt vor, wie das funktonieren kann.
Solche ART eröffnen Anlegern die „attraktive Option des Teilbesitzes“, sagt Jurist Michael Huertas, Partner der Unternehmensberatung PwC Legal. Das heißt, also lediglich an Teilen eines Vermögensgegenstandes zu partizipieren. Das ermögliche vielen Menschen erstmals überhaupt, sich am Ausbau und der Produktion regenerativer Energien zu beteiligen. Jedenfalls ist es eine unverbindliche Alternative zur Beteiligung an einer Energiegenossenschaft. Das betrifft etwa Mieter ohne Option auf eine eigene PV-Anlage. „Das Beispiel Enel ist sehr spannend, weil andere Unternehmen folgen könnten“, sagt Huertas. Mit diesem Modell lasse sich mehr Privatkapital für die Energiewende mobilisieren als bisher.
Ob mit der Krypto-Kategorie auch das „Energy Sharing“ umsetzbar wird, ist offen, scheint aber prinzipiell möglich. Dabei geht um den gemeinsamen Verbrauch von Solarstrom über das Netz. Die EU will diese Option grundsätzlich ermöglichen. Deutschland hat dafür aber noch keine Rechtsgrundlagen geschaffen.
Für Stromversorger dürfte es fürs Erste ökonomisch eher Sinn machen, den Strom aus tokenisierten Parks für ihre Kundinnen und Kunden rechnerisch zu verbuchen, ohne dass es zu einer Lieferung und dem Ausgleich von Bilanzkreisen kommen muss. Das entspricht auch Enels Ideen. Ein solches Modell könnte ihnen eine relativ einfache Absatzoption ergänzend zu Stromlieferverträgen mit Großkunden (PPA) schaffen.
Partizipation statt Rendite
Klar ist: Die Rendite darf bei der Tokenisierung laut MiCAR keine Rolle spielen. Es geht stattdessen um das Recht, an den operativen Erträgen wie dem sauberen Strom zu partizipieren. Denn ein tokenisierter Solar- oder Windpark sei eben kein Finanzprodukt, so Huertas.
Damit ist es auch nicht mit einem Finanzinvestment in einen Solar- und Windfonds zu vergleichen, der bisher für Nicht-PV-Eigentümer eine verbreitete Option darstellte, sich an regenerativen Kraftwerken zu beteiligen. Dabei erhalten Anlegende in der Regel einen Zins auf das eingesetzte Kapital. Solche Produkte seien vom Prinzip her deutlich risikoreicher als die nun neu geschaffene Option, sagt PwC-Experte Huertas. „Der Investorenschutz ist bei den vermögenswertbezogenen Kryptowerten erheblich höher.“ Etwa, wenn es um das Ausfallrisiko geht.
Bafin für Tokenisierung zuständig
Für die Regulierung der vermögens-bezogenen Token ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zuständig. Zu konkreten Fällen will sich die Behörde nicht äußern. Doch grundsätzlich werde vor dem MiCAR-Hintergrund eine Tokenisierung von erneuerbaren Energien in Deutschland wie im Falle Enels möglich, heißt es in Behördenkreisen. Das sei jedoch stets eine Einzelfallentscheidung. Zuvor wäre ein solches Konstrukt zur Beteiligung an Teilen von Vermögenswerten – wie es Enel nun vormacht – von den Aufsichtsbehörden übrigens verfolgt worden.
Neben Kreditinstituten könne jede juristische Person eine Emission beantragen, so die Bafin auf Anfrage. Voraussetzung sei ein White Paper, eine Art abgespeckter Emissionsprospekt. Die Prüfung dauere dann höchstens 60 Tage.
Die neu geschaffene Möglichkeit unterscheidet sich ebenfalls von sogenannten Security Token, mit denen bereits Solarparks teilweise finanziert werden. So wie durch die Investmentbank Black Manta Capital Partners, die für einen Solarpark in Brasilien mit 37 Megawatt (MW) Token ausgab. Als weiteres Vorhaben stehe ein 4-MW-PV-Projekt auf Zypern in den Startlöchern. Security Token sind dabei nichts anderes als digitalisierte Wertpapiere, die Anlegern eine Rendite bringen, aber keinen Strom.
MiCAR ermögliche im Unterschied dazu jetzt „die direkte Abbildung des Solarparks als Token“, sagt Black-Manta-CEO Alexander Rapatz. Das könne helfen, in Deutschland breitere Investorenkreise zu erschließen und einen zusätzlichen Kapitalzufluss in den Energiesektor auszulösen. „Die Tokenisierung kann die Finanzierung von Solarparks vereinfachen und beschleunigen, indem sie den Zugang zu Kapitalmärkten demokratisiert und neue Investorengruppen erschließt“, sagt er.
Kommende Herausforderungen
Allerdings sei auch mit Herausforderungen zu rechnen. „Dazu gehört unter anderem die technische Komplexität oder die Entwicklung geeigneter Handelsplattformen“, so Rapatz. Denn die EU-Vorgaben sehen vor, dass solche Token handelbar sein müssen. Das ist ein wichtiger Punkt, etwa wenn Kunden ihren Stromversorger wechseln wollen, die Token aber an den bisherigen Lieferanten gebunden sind.
Grundsätzlich stelle die Tokenisierung von Solarparks in Deutschland eine vielversprechende Option dar, um die Energiewende voranzutreiben, so der Krypto-Manager. „Ob sie ihr volles Potenzial entfalten kann, wird von der aktiven Mitwirkung aller Marktteilnehmer abhängen.“
Noch befindet sich das Thema wenige Wochen nach dem rechtlichen „Go“ in einer Frühphase. Auch in der Branche der erneuerbaren Energien ist die neue Option wenig bekannt. Weder der Bundesverband Solarwirtschaft noch der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) wollten dazu eine Einschätzung abgeben.
Autor: Oliver Ristau | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH