Nina Scheer im Interview: Die Koalition kann Gräben überwinden

Portrait von Nina Scheer, die für die SPD den Koalitionsvertrag zum Themenfeld Klima und Energie mitverhandelt hat.Foto: Scheer
Nina Scheer, die für die SPD den Koalitionsvertrag zum Themenfeld Klima und Energie mitverhandelt hat.
Nina Scheer ist seit 2013 für die SPD Mitglied im Deutschen Bundestag. In der vergangenen Legislaturperiode war sie die klima- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie vertrat die Partei auch in der AG Klima und Energie bei den Koalitionsverhandlungen. Die Solarthemen sprachen mit ihr über Chancen und Herausforderungen der neuen Koalition.

Nina Scheer: Wie man den bunten Passagen des geleakten Dokuments der Arbeitsgruppe Klima und Energie der Koalitionsverhandlungen entnehmen konnte, waren da schon auch sehr grundsätzliche Unterschiede enthalten, wie etwa zur Atomenergie oder auch zum Flächenziel für Windenergie oder zur Anwendung von CCS. Zugleich wird an den Klimaschutzzielen festgehalten und Kosteneffizienz adres­siert. Und wir haben das Ziel formuliert, dass sich erneuerbare Energien perspektivisch vollständig am Markt refinanzieren können. Das ist nicht zu verwechseln mit der Aussage, dass Erneuerbare dem Markt zu überlassen sind. Nein, wir haben das aufgabenseitige Ziel, dass Erneuerbare sich am Markt refinanzieren können.

Die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien wurden nicht infrage gestellt, allein das Flächenziel 2032 für Wind soll geprüft werden. Es wurde dazu ein Monitoring verständigt. Es ist zugleich einiges an Aussagen zum systemischen Umstieg auf die Erneuerbaren enthalten – in Bezug auf Speicher und Flexibilitäten, Planungs- und Genehmigungserleichterungen. Damit sind maßgebliche Aussagen über den Stellenwert der Erneuerbaren, den Umstieg auf die Erneuerbaren, über die Berücksichtigung von Investitionsbedingungen und damit letztlich unweigerlich auch eine perspektivische Vollversorgung durch Erneuerbare enthalten. Schließlich wissen wir, dass sie die günstigste Form der Energiegewinnung sind.

Chancen für Erneuerbare durch die neue Koalition

Der Koalitionsvertrag ist an vielen Stellen, und zwar nicht nur im Klima- und Energiekapitel, davon gekennzeichnet, dass es trotz offenkundiger Gegensätze nun um den verbindenden Brückenkopf gehen soll. Die Chance liegt darin, die sich in der Gesellschaft immer weiter auch emotional vertiefenden Gräben offensiv und konstruktiv zu überbrücken. Die Herausforderung und Chance liegt darin, dass die Gräben keineswegs nur sachlich entstanden sind, sondern teilweise auf unhaltbaren Annahmen beruhen. Eben diese Annahmen durch die Zusammenarbeit in der Koalition zu hinterfragen und darüber auch die Gräben ein Stück weit zu überwinden, ist die Chance dieser Koalition. Dass dies gelingen kann, zeigt die „vor die Klammer gezogene“ Verständigung für die vorgenommenen Grundgesetzänderungen.

Als Befürchtung möchte ich es nicht beschreiben, sondern lieber als Anforderung. Es muss gelingen, verfälschende Annahmen zu hinterfragen und dann auch gemeinsam und ohne Häme hinter uns zu lassen. In Bezug auf CCS bei Gaskraftwerken hätte ich mir gewünscht, dass dieses Kapitel geschlossen bleibt, weil es offenkundig verzerrten bzw. verfälschten Annahmen folgt. Wir laufen damit Gefahr, dass der Hochlauf für grünen Wasserstoff verdrängt wird und die Nutzung fossilen Erdgases sowie die hiermit verbundenen Abhängigkeiten verlängert werden – ganz zu schweigen von den in CCS angelegten infrastrukturellen Anforderungen.

Nach meiner Überzeugung und auch einer entsprechenden Positionierung der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Mai 2023 muss CCS auf unvermeidbare bzw. schwer vermeidbare Restemissionen beschränkt werden und wäre bei Gaskraftwerken damit nicht einsetzbar. Es wird nun mit der anders lautenden Verständigung darum gehen, dies in der Ausgestaltung auch mit den anderen Aussagen aus dem Koalitionsvertrag wie etwa zum Hochlauf von grünem Wasserstoff oder zur Kosteneffizienz ins Verhältnis zu setzen. Im Übrigen gilt für diesen wie für alle Koalitionsverträge, dass alle Beteiligten die gefundenen Kompromisse zu respektieren haben.

Neue Impulse durch die schwarz-rote Koalition

Es sind Zielvorgaben, die den gemeinsamen Willen verbriefen, dezentrale Beteiligungsformen zu stärken. Alles Weitere ist eine Frage der gemeinsamen Ausgestaltung.

Nein, andersherum. Mit den Zeilen 982 und folgende im Koalitionsvertrag wird erklärt, dass Ausbau und Modernisierung der Netze „mit dem Erneuerbaren-Ausbau synchronisiert“ werden – und dies kosteneffizient. Insofern ist es eben gerade nicht so, dass sich der Ausbau der Erneuerbaren nach den Netzen zu richten habe. Zwar gilt es in Fragen der Netzverfügbarkeit, auch die Maßgaben der Kosteneffizienz zu berücksichtigen. Aber es kann nicht die fehlende Netzverfügbarkeit dem Ausbau erneuerbarer Energien entgegengehalten werden. Einzig im Bereich der Windenergie wurde mit den Zeilen ab 1035 noch eine Aussage zu möglichen befristeten Engpassgebieten aufgenommen, wo dann tatsächlich die Netzverfügbarkeit eine Maßgabe für den Ausbau von Wind wäre. Allerdings gilt dies mit der geeinten Formulierung auch nur nach entsprechender Prüfung und ohne dabei die Ausbauziele der Windkraft zu gefährden.

Ja, davon gehe ich aus.

Wie geht es weiter mit dem Heizungsgesetz?

Eine zeitliche Aussage wurde mit dem Koalitionsvertrag nicht getroffen.

Wir haben ein Klimaschutzgesetz, das uns über die Sektorziele einen Rahmen setzt. Ein gesetzlicher Rahmen, der die Erreichbarkeit weiter gefährdete, geriete mit den auch vom Verfassungsgericht gesetzten Maßgaben in Konflikt. Zugleich gibt es im Gebäudeenergiegesetz tatsächlich auch Maß­gaben, deren Veränderung in Rich­tung „Technologieoffenheit“ diese Zielsetzung nicht gefährden muss. So gibt es Effizienzvorgaben, deren Beachtung zwar im Einzelfall sinnvoll erscheint, aber zur Erreichung der CO2-Einsparungen nicht zwingend ist, wenn sie etwa durch einen Mehreinsatz von Erneuerbaren aufgefangen werden können.

Will heißen: Mit den Aussagen des Koalitionsvertrags ist es sehrwohl möglich, eine Verlangsamung im Umstieg auf erneuerbare Wärme zu vermeiden oder diesen gar zu beschleunigen. Das hängt von verschiedenen Stellschrauben ab – auch den Förderungen und auch davon, wie es mit den kommunalen Wärmeplanungen weitergehen wird. Es darf nun nicht passieren, dass mit der Erzählung von der Abschaffung des Heizungsgesetzes eine Renaissance für Öl und Gas propagiert wird. Zuletzt war dies ja der Effekt in Reaktion auf die Ankündigung des Heizungsgesetzes. Es ist hier somit auch viel Emotion und Psychologie am Werk.

Förderung von Heizungen durch die neue Koalition

Die Förderungen müssen fortgesetzt werden. Das ist auch geeint.

Ich konnte vernehmen, dass es große Sympathie für eine solche Veränderung gibt, wenn höhere Preise, die allein auf die prozentuale Förderstruktur zurückzuführen sind, damit eingefangen werden können. Der Vergleich zu anderen Ländern legt dies nahe.

Kein Detail, das es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat, lässt sich von heute aus vorhersagen. Mein Eindruck ist aber, dass wir einen gemeinsamen Nenner darin haben, die erforderlichen Entwicklungen auch ermöglichen zu wollen. Und es ist Fakt, dass dem Wohnungsmangel auch durch Erhalt, und damit auch das energetische Fit-Machen im Bestand zu begegnen ist.

Interview: Andreas Witt | www.solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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