Strompreiszonen: EU-Bericht erzwingt Debatte

Titelbild des BZR-Berichts der Entso-E
Eine offizielle Empfehlung von Entso-E, dem Dachverband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber zur Aufsplittung der bislang deutschlandweit einheitlichen Strompreis-Gebotszone heizt die kontroverse Debatte um dieses Thema an. Die meisten Verbände in Deutschland warnen ebenso wie die Bundesnetzagentur vor einer Trennung in mehrere Zonen. Obwohl auch der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD der einheitlichen Strompreiszone die Treue schwört, dürfte aber der Gegenwind aus Brüssel zunehmen.

Gemäß EU-Verordnung hat der aktuelle Entso-E-Bericht mit dem Titel “Bidding Zone Review” (BZR) nun 14 mögliche Konfigurationen von Gebotszonen untersucht. Er folgt dabei Vorgaben der europäischen Agentur der Regulierungsbehörden ACER. Eines der zentralen Ergebnisse enthält politischen Sprengstoff. Der BZR empfiehlt für Mitteleuropa die Aufteilung der bislang einheitlichen deutsch-luxemburgischen Strompreiszone in fünf separate Gebotszonen. Dies könne der Volkswirtschaft im Referenzjahr 2025 ganze 339 Millionen Euro gegenüber dem Status quo einbringen, berechnet Entso-E.

Hintergrund der bereits seit Jahren in der Fachwelt anschwellenden Diskussion ist das regionale Ungleichgewicht zwischen dem erneuerbarem Stromangebot und dem Stromverbrauch. So ist das regenerative Angebot wegen der Windkraft in Norddeutschland viel höher als in anderen Teilen Deutschlands.

Weil Strommengen an der Börse innerhalb der deutsch-luxemburgischen Gebotszone zu einheitlichen Preisen gehandelt werden, ohne auf physikalische Netzengpässe Rücksicht nehmen zu müssen, entsteht zusätzlicher Bedarf für teure Netzstabilisierungsmaßnahmen (Redispatch). Und der schlägt auch volkswirtschaftlich zu Buche.

Würde man hingegen die Gebotszonen aufteilen, ergäben sich mutmaßlich in Bereichen mit hoher Energieeinspeisung, also im Norden, günstigere Strompreise, während der Strom im Süden teurer würde. Und die Strompreise würden voraussichtlich stärker schwanken. Denn die kleineren regionalen Strommärkte würden mit kräftigeren Preissignalen auf Angebot und Nachfrage reagieren.

Fünf Gebotszonen für den deutschen Strommarkt?

Während die Fachwelt schon seit vielen Jahren in Deutschland über die Aufteilung des Landes in zwei Gebotszonen – Süd und Nord – diskutiert, schlägt der am Montag vorgestellte BZR-Bericht gleich fünf Zonen als wirtschaftliches Optimum vor.

Wenn es nach der wohl künftigen schwarz-roten Regierung ginge, wäre das allerdings mindestens in den kommenden vier Jahren kein Thema. Im frisch aufgesetzten Koalitionsvertrag heißt es: “Wir halten an einer einheitlichen Stromgebotszone fest.”

Aber Deutschland wird nicht umhin kommen, auf den BZR-Bericht zu reagieren und gegebenenfalls Alternativkonzepte zu entwickeln. Laut Vorgabe der EU-Kommission muss das innerhalb von sechs Monaten geschehen. Andernfalls würde eine politische Entscheidung über die Zukunft der deutschen Gebotszone nicht mehr in Berlin, sondern in Brüssel getroffen.

Bei der EU-Kommission geht man offenbar davon aus, dass eine Aufsplittung der deutsch-luxemburgischen Gebotszone den grenzüberschreitenden Stromhandel attraktiver machen und somit die nationalen Strommärkte weiter öffnen würde – was dort per se als Pluspunkt gesehen wird. Auch Wirtschaftswissenschaftler:innen wie der Berliner Professor Lion Hirth und die Wirtschaftsweise Veronica Grimm setzen sich für ein Gebotszonensplitting ein. Hauptargumente dieser Ökonom:innen: Durch regionale Preisbildung würden die Stromflüsse besser an die Netzkapazitäten angepasst. Und das könnte die Notwendigkeit von teurem Redispatch verringern. Außerdem könne dies Anreize für Investitionen am richtigen Ort schaffen. Im Süden könnten Investitionen in neue Kraftwerke oder Speicher attraktiver werden. Andererseits würden niedrigere Strompreise im Norden den Ausbau von Verbrauchern fördern.

Den Geist in der Flasche lassen

Doch in der deutschen Energiebranche und Politik ist man sich weitgehend einig, die einheitliche Strompreiszone zu verteidigen. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), spricht für viele Expert:innen, wenn sie sagt: “Die Teilung der deutschen Strompreiszone ist ein Geist, der besser in der Flasche bleibt.”

Eine Teilung funktioniere nur in der Theorie, halte aber dem Praxischeck nicht stand, so Peter. Nicht nur der BEE, sondern auch der BDEW als eher traditioneller Verband der Energiewirtschaft erwartet negative Folgen für die Investitionssicherheit und den Ausbau der erneuerbaren Energien und von Flexibilitäten. “Potenziellen (geringen) Vorteilen in einigen Bereichen des Kurzfristmarkts stehen deutliche Nachteile im gesamten Langfristmarkt gegenüber”, heißt es vom BEE. Denn Deutschland habe einen der größten und liquidesten Stromterminmärkte der Welt, argumentiert auch der BDEW: “Das Fundament dafür ist die große einheitliche Stromgebotszone. Ein geschwächter Terminmarkt erhöht Preisrisiken und Transaktionskosten für Endverbraucher.” Insbesondere die Industrie in Süddeutschland würde bei einer Gebotszonenaufteilung von noch höheren Strompreisen betroffen. So warnen der BDEW und der Verband der Automobilwirtschaft (VDA) in einer gemeinsamen Presseerklärung.

ÜNB als Kronzeugen gegen getrennte Gebotszonen

Als Kronzeugen der Kritik am BZR-Bericht ihrer Dachorganisition Entso-E treten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet, 50-Herz, Transnet BW und Amprion auf. Sie, die an der Entstehung des Reviews selbst beteiligt waren, distanzieren sich nun von dem Ergebnis. In einem Positionspapier heißt es, das Ergebnis der Überprüfung der deutsch-luxemburgischen Gebotszone sei “derzeit nicht geeignet, um eine Aufteilung der bestehenden Preiszone zu begründen”. Nach der von ACER vordefinierten Methode hätten die europäischen ÜNB lediglich einen vergleichsweise geringen monetären Nutzen für das Jahr 2025 ermittelt. Die 339 Millionen Euro an Wohlfahrtsgewinnen, die Entso-E in die Waagschale werfe, entsprächen nur einem Prozent der Kosten des für 2025 simulierten Day-Ahead-Strommarktes. Aber: “Die Entwicklung der Wohlfahrtsgewinne für darauffolgende Jahre hat die Gebotszonenstudie nicht berechnet”, betonen die vier deutschen ÜNB.

Daten veraltet – BZR-Methode blind für die Zukunft

Die Daten für die BZR-Studie stammten aus dem Jahr 2019 erläutern die vier ÜNB. Hingegen würden zukünftige Entwicklungen im Stromsystem, darunter Netzausbauprojekte und der Ausbau der erneuerbaren Energien, nicht berücksichtigt. Während eine Anpassung der Gebotszonen aufwändig und erst bis 2030 überhaupt möglich sei, würden aber wesentliche Netzausbauprojekte weit fortgeschritten sein. Und das berücksichtigte die BZR-Studie nicht, so die deutschen ÜNB.

Selbst die Bundesnetzagentur (BNetzA), die als Mitglied der europäischen Regulierer-Agentur ACER an der Definition der kritisierten Spielregeln für die BZR-Studie vor Jahren beteiligt war, wendet sich gegen ein Strommarkt-Splitting in ihrem Zuständigkeitsbereich. „Die Bundesnetzagentur sieht derzeit keine ausreichenden Gründe für eine Aufteilung der deutschen Gebotszone. Die bisherigen Modellrechnungen zeigen zwar potenzielle wirtschaftliche Vorteile, jedoch müssen die Auswirkungen auf Versorgungssicherheit, Netzstabilität und industrielle Verbraucher umfassend bewertet werden. Ein vorschneller Schritt könnte negative Folgen für den deutschen Strommarkt und die Marktintegration in Europa haben“, heißt es in einer Pressemitteilung der BNetzA.

Strommarktsplitting nicht alternativlos

Um die von Befürworter:innen eines Strommarktsplittings gewünschten Effekte zu erreichen, gebe es durchaus bessere Alternativen, betont BEE-Präsidentin Peter: “Echte und wirksame lokale Signale lassen sich volks- und betriebswirtschaftlich sinnvoller durch die Umsetzung des Energy Sharings, regionale Flexibilitätsmärkte, die direkte Einbindung durch Verteilnetzbetreiber (§14c ENWG) und vieles mehr schaffen. Das ist wirksamer, marktnäher und kostengünstiger.”

Autor: Guido Bröer | © Solarthemen Media GmbH

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